Bericht über die 2. (1. Arbeite-) Sitzung des V. Vereinsjahres.
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halten und wir wurden aufs Herzlichste aufgenommen. Als wir in unser Quartier kamen, waren ausser dem Quartiergeber auch Nachbarn zugegen. Unter ihnen befand sich eine junge Frau mit einem etwa zwei Jahre alten Kinde auf dem Arme. Sie war eine Wittwe, dem Kinde war aber vorgeredet worden, ihr Vater sei verreist und käme wieder. Nun sagte man dem Kinde, unter den anwesenden Soldaten sei ihr Vater. Das Kind sah uns aufmerksam an und streckte dann die Ärmchen nach mir aus, mich als Papa begrüssend und wollte in den beiden Tagen, die wir in Dreetz blieben, mich gar nicht mehr verlassen, so dass mir der Abschied von dem kleinen holden Geschöpf wirklich leid that.
Am 11. Februar marschierten wir weiter. Über Neustadt a. d. Dosse ging der Marsch. In den Dörfern Stüdnitz, Schönermark und Lohme wurden wir einquartiert. Die Quartiere waren gut. Es begann nun ernste militärische Arbeit: Exerzieren, Schiessen. Felddienst üben. Ich war einige Tage krank, hatte mich erkältet und hustete stark, konnte also keinen Dienst verrichten und langweilte mich sehr. Mein Bruder war unterdessen mit dem Prediger des Ortes (Seelemann) bekannt und von ihm eingeladen worden. Ich dagegen las unterdessen in Zschokkes Novellen, die mir alter die Langeweile auch nicht vertreiben konnten. Die Zeit wurde, so weit es das Exerzieren gestattete, mit gegenseitigem Besuchen, mit Spielen (neben dem Whist war auch das Solo zu Ehren gelangt) und Kneipen ausgefüllt. Niemals spielten wir ein Hasardspiel, überhaupt nicht um grossen Gewinn, sondern nur zum Zeitvertreib. Ich konnte wenig daran teilnehmen, da ich noch längere Zeit leidend war. Aber ich hatte mittlerweile ebenfalls die Predigerfamilie kennen gelernt und durfte die angenehmsten Stunden in dem gastlichen Hause verleben.
Von damals nicht geahnten Folgen war am 23. Februar, einem Sonntag, mein Besuch bei unserm Freunde Von der Lippe im Dorfe Lohme, der dort bei der Predigerwittwe Schinkel ein sehr gutes Quartier erhalten hatte. Die hochgebildete Frau kam ihm mit wahrhaft mütterlicher Herzlichkeit entgegen. Unser Freund, der in der Welt allein stand und viel Schweres in seinem Leben erduldet hatte, fühlte sich wahrhaft beglückt im Verkehr mit dev von ihm hochverehrten Frau und ihrer liebenswürdigen Nichte und kam ihnen mit ritterlicher Cour- oisie entgegen. Mein Bruder wurde auch bei einem Besuch bei Von der Lippe gern angenommen. Dass wir Pfarrersöhne waren, empfahl uns auch von vornherein bei der Frau Prediger.
Es war uns freigestellt worden, ob wir jetzt nach Berlin zurückkehren oder bis Ende März im Regiment bleiben wollten. Wir zogen letzteres vor, da wir uns der Offiziersprüfung unterziehen wollten,