114 Bericht über die 5. (4. ausserordl.) Versammlung des V. Vereinsjahres.
Es folgte alsdann mit Genehmigung des Königlichen Ober-Hof- Marschallamts eine eingehende Besichtigung des Königlichen Landhauses, jetzt etwas pompös Schloss genannt. Vor demselben nach der nordöstlichen Seite zu steht die bekannte kleine Marmorstatuette der französischen Tragödin Demoiselle Rachel von Afinger, welche am 15. August 1852 nach anfänglicher Weigerung hier auf schnell improvisierter Naturbühne derartig hinreissend vor König Friedrich Wilhelm IV. und seinen fürstlichen Gästen spielte, dass einer der letzteren, der Czar Nikolaus I., der Schauspielerin anerkennend und galant die Hand küsste, eine Thatsache, welche zur Zeit, wo der französische Botschafter, Herzog von Montebello gelegentlich der Krönung des Czaren in Moskau der Czarin den Handkuss verweigert hat, zu einem Vergleich einladet. Hie vorerwähnte anmutige Vollstatuette ist, wie uns von Ohrenzeugen mitgeteilt wurde, mitunter vom Kaiser Friedrich als Kronprinz vornehmen Besuchern gegenüber im Scherz als Königin Luise ausgegeben und dafür auch angesehen worden.
An die Besichtigung des Landhauses, dessen Bau bereits unter Friedrich Wilhelm II. i. J. 1793 begann und das besonders an Erinnerungen seines Nachfolgers reich ist, schloss sich eine dendrologische Wanderung durch die nächst belegeuen Teile des Parkes, dessen herrliche Bäume im Einzelnen betrachtet und von den Herren Reuter und Dr. Bolle sachverständig erläutert wurden. Besonders interessierte die noch immer kei’nige Rieseneiche, deren Alter auf 1200 Jahre geschätzt wird und das Priesterfeld mit einer nicht minder merkwürdigen Eiche, an deren Stamm tiefe ringförmige Eindrücke beziehentlich wulstartige Erhöhungen, welche auf eine absichtlich in den Stamm eingreifende Behandlung des Baumes schliessen lassen, Beachtung fanden. Mau schätzt diesen Baumveteranen auf 800 Jahr. Herr Reuter ist der Meinung, da der Name Priesterfeld von Uralters her aus dem Volksmund überliefert ist und keine kirchlichen Beziehungen urkundlich hier nachzuweisen sind, dass die Benennung aus der heidnischen Wendenzeit überliefert sei und der merkwürdig verstümmelte Baum mit dem heidnischen Opferkultus in Verbindung zu bringen wäre.
Zwei andere interessante Bäume auf dem grossen Rasenparterre nahe dem Schloss hatten bereits die Aufmerksamkeit der Besucher zuvor gefesselt: ein Zirbelkieferbaum, Solitär, von ausserordentlich symmetrischem Wuchs und eine ungeheure Rottanne (Fichte), deren Krone leider der Blitz abgeschlagen. Die Zweige dieses wunderbaren Baumes haben sich derartig gelagert, dass sie mit dem Boden verbunden erscheinen und ist ein Zweig aus demselben bereits kerzengrade als ein ansehnlicher Baum in die Höhe geschossen, welcher gleichwohl noch immer mit dem Mutterstamme organisch als ein Teil verbunden erscheint. Unter dem Schirm der erwähnten Fichte zeigte Herr Reuter