Heft 
(1896) 5
Seite
153
Einzelbild herunterladen

W. v. Sclmlenburg, Märkische Kräuterei aus dem Kreise Teltow.

153

Die alte Frau Schulze, etwa 77 Jahr alt, hat mir wiederholentlich bezeugt als Augenzeugin, dass thatsächlich, in ihrer Gegenwart, wie sie selbst noch jung war, im Dorfe . . . ein Kindermädchen, das noch nach Schule ging, dreizehn Jahre vielleicht alt, sich nack t ausziehen musste und dreimal um den blühenden Flachs herumlief, denndann wächst er besser. Dorf ... '

Ich füge noch aus Ostpreussen hinzu, von mir aus Yolksmunde aufgezeichnet:Man muss immer dein Flachs den vaxKivfcv c Impv zeigen. Dann sieht er das und wächst gut. Meine Mutter sagte zu mir, wie ich Braut war:Wenn Du hingehst, musst Du das thun, dann wächst er gut. Beihmmen (Kreis Darkehmen).

(Das erwähnte Wortbruse ist = brause, thu brausen (im Sinne von aufbiausen); brusen = brauschen. Det Flass brust, wenn et so recht bu llij et (bulljet). Das Korn thut auch biillijeiwonn es sonne Wellen schlägt, wie der Dichter ähnlich sagt:Und in schwanken Silber­wellen wogt die Saat der Ärnte zu. Das Hauptwort Bulje (kurzes u) ist plattdeutsch hier Woge, Welle, niederdeutsch Bülge, häufig von Fritz Reuter bildlich gebraucht. Brüsche, Brusche = Brausche, be­deutet eine Beule, z. B. am Kopf, im Gesicht, wenn man sich gestossen hat, gefallen ist oder geschlagen wurde. Der Flachs brust, wenn er üppig gediehen ist und vom Winde in schwanken Wellen bewegt wird. Bruse ist also das Wort eines Gebetes um üppiges Gedeihen des Flachses aus alter Zeit her. Er soll so hoch wachsen wie die weibliche Brust (vergleiche auch W. S. 241, 242).

Es ist jedenfalls eine uralte feierliche Sitte, die sich in diesem Laufen um den Flachs herum erhalten hat. Dadurch, dass eine Jung­frau um den Flachs lief in völliger Reinheit, wie sie die Natur ge­schaffen, o]ine menschliche Zuthat der menschliche Leib ist auch nach christlicher Auffassung ein Ebenbild Gottes sollte sicherlich, bei weiterer Ausbildung göttlicher Vorstellungen im Altertum, der Flachs oder das Flachsfeld einer Gottheit geweiht werden, vielleicht einstmals der grossen Erdmutter. Noch der Römer Tacitus verzeichnet eine solche für Niederdeutschland als Nerthus oder Hertha (dann Erta, Erde) und erklärt sie ausdrücklich als terrae mater, als Erdmutter. Die Erinnerung au eine Kornmutter, eine Kornmuhme, Kornmiene war noch zu unsrer Zeit überall lebendig in der Mark, bis unmittelbar an Berlin heran (Wilmersdorf). Es mag dann im besondern der Flachs geweiht worden sein der Göttin Harke (Flerke, Ere) oder Frigg, der Gemahlin des Himmelsgottes Wodan, der auch im Sturme daher braust, oder auch, wenn sie hier gewesen sein sollte, einer besonderen Frühlingsgöttin, dann gleichzeitig Göttin der Liebe.

Ich erwähne noch aus meinen Aufzeichnungen aus Baiern:Am Sunnwendtag (Johannistag) wird in den Flachs ein Stecken, angekohlt

11