Heft 
(1896) 5
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Wolborgen und der Wolborgbauer.

wiedie Mutter Erde, die GöttinNerthus oderHerta (Erda) selbst es war, aus derem dunklen Schosse Alles hervorging, alleWunder und alle Gottesgeheimnisse und in die wir alle wieder, als in diegrosse Heimath, zurükkehren von derirdischen Wanderfahrt.

Was jetzt im Landvolk dieKräuterfrauen sind, dieklugen Frauen, mitunter auch dieHexen, das waren in unsrem Altertum bei grösserer Wissenschaft und Weisheit und bei grösserer Achtung des Volkes dieweisen Frauen, die Allraunen oderAlbrunen, wie sie schon zu Christi Zeiten in Deutschland hiessen. Eine solchekluge Frau war einst mit drohendem Blick entgegengetreten dem Befehlshaber eines römischen Heeres, das, im Jahre 9 nach Christi Geburt, bis an die Elbe vorgedrungen war, nämlich dem Drusus, einem Bruder des Kaisers Tiberius. Ihre Unheil verkündenden Worte beugten das Gemüt des furchtlosen Prinzen tief nieder, der aber­gläubisch war wie alle Römer des Altertums. Ihr Aberglaube wird ja noch auf den deutschen Schulen mit Wohlgefallen gelehrt, als Bildungsmittel! Noch haben wir das Wort raunen, jemandem etwas geheimnisvoll sagen. Zu Wolborgen, wenn der Lenz sein Füllhorn wieder ausschüttet in Wald und Wiesen, auf Feld und Flur, werden sie sich versammelt haben auf Bergeshöhen, wo man an heiligen Stätten Gottesdienst abhielt, und werden dort ihre Reigen unter feierlichem Gesang getanzt, d. h anmutvoll und würdig gegangen haben, wie die Kinder auf dem Lande von Alters im Reigen gehen und singen und wie in der Sage die ausgelassenen Hexen tanzen auf den Berghöhen der Blocksberge. Was da ausserdem noch ursprünglichMythisches hindurchspielt, kommt hier nicht in Betracht. Ursprüngliches, was nebenbei immer wieder von Neuem hervortritt, in die spätere Entwicklung hineintragen, hiesse nur: ein bestimmtes Zeitbild verdunkeln. \

Aber es bestand auch Baumdienst bei den Alten. Nicht dass man ein Stück Holz als göttlich verehrt hätte, sondern schöne alte Bäume regten durch die Erhabenheit ihrer gewaltigen Grösse die menschliche Seele zur Verehrung der Gottheit an und an ihnen ersah man schöne Stätten zu Opfer und Gebet, zur Gottesverehrung. Auf jeden gemütvollen Menschen macht auch heute noch ein schöner alter Baum einenerhebenden Eindruck, nur wer mit verhärtetem Geinüthe den Dank erstickt, der ihm gebührt lässt ihn kalten Herzens niederschlagen. So finden wir auch noch an den Gränzen der Mark die Sage, dass die Hexen auf gewissen alten Bäumen sich ver­sammelten zur Maifeier. Wenn unsere Berghöhen in der Mark einst wieder werden bewaldet sein, worauf der Gang der Dinge hinweist, dann werden auch von neuem dankbare Pilgerscharen dort ihre Naturfeier abhalten.