11. 02. öffentl.) Versammlung des V. Vereinsjahres.
285
unten hängen, und deren Stamm oben merkwürdig knorrig ausgebildet ist. Ein junges Mädchen soll auf dein Wege zur Richtstelle von einer Linde einen Zweig abgerissen und mit den Worten verkehrt in die Erde gepflanzt haben* dass sie, sowahr jener weiterwachsen werde, unschuldig wäre. Daraus sei im Lauf der Zeiten jener mächtige Verkehrt-Lindenbaum, der noch heute die Verwunderung des Beschauers erregt, erwachsen.
Am 25. Oktober d. J. habe icli mehrere der sogenannten Verkehrt- Bäume des Neuen Gartens in Potsdam mit Hülfe der Mitglieder Herren 1L Maurer, E. Schenk und A. Gloe photographiert. Ich] lege Ihnen zunächst eine Photographie der prachtvollen Linde vor, welche sich dicht neben dem Marmorpalais, Angesichts links, befindet. Leider ist die charakteristische Verdünnung des Raumes, der Hals der Flasche, welche gewissermassen die Gestalt des Stammes der sogen. Verkebrt- Bäume darstellt, durch die Lehne der den Stamm umschliessenden Ruhebank einigermassen verdeckt. Weiterhin an einer Wegekreuzung ein einzelner schöner typischer derartiger Lindenbaum; es folgen dann nahe dem Heiligen-See zwei weitere solche Linden, bei der einen ist die Stammverdünnung nur kurz, bei der anderen dagegen länger, und tritt bei diesem Baum der typische verkehrtflaschenförmige Aufbau des Stammes ganz zweifellos in die Erscheinung. Mehr als sechs Exemplare haben wir im Neuen Garten nicht ermittelt, sie siud also seltener, als wir vermuteten. Alle diese Bäume sind offenbar als besondere Raritäten an hervorragenden Stellen und zur Schau gepflanzt, denn anderweitig linden sich solche Bäume durchaus nicht, obwohl der Neue Garten ganze Alleeen von Lindenbäumen und Linden auch im Gebüsch enthält. Es zeigen sich bei diesen sogen. Verkehrt-Bäumen zuunterst kleinblätterige Winter- oder Spätlinden (Tilia ulmifolia Scop. = T. parvifolia Ehrli.), die Blätter beiderseits kahl, unterseits graugrün, denen man alsdann eine rascher und umfänglicher wachsende Sommeroder Frühlinde (Tilia platyphylla Scop. — T. grandifolia Ehrli.), Blätter grösser, unten wollhaarig, beiderseits grün, zum Teil auch die ungarische Silberlinde (Tilia argentea Desf.), Blätter oben fast kahl, unterseits dicht weissfilzig, aufgepfropft hat. Der Wirth ist zurückgeblieben, dagegen hat sich das Pfropfreis ungemein stattlich entwickelt: daher eben das umgekehrt flaschenförmige Aussehen des Stammes, welches dem Volke auft'ällt und es veranlasst, die Ueherliefe- rung von den wirklich verkehrten Bäumen auf diese gartenkünstlerische Spielereien zu übertragen.
Diese sogen. Verkehrtbäume des Neuen Gartens, wie überhaupt die der Königlichen Schlossgärten, sind ausnahmslos Linden. Sie stammen aus den achtziger oder neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, wobei zu bemerken, dass das Marmorpalais, zu dessen Ausstattung der