Heft 
(1896) 5
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12. (3. öflentl.) Versammlung des V. Vereinsjahres.

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prähistorischer alter Glaube, der nich bloss die Arier, sondern auch die Semiten der Urzeit umfasst hat, eine Vorstellung, nach der man in dem täglich, zunächst wie eine Lichtsäule aufsteigenden und sich dann über die Welt ausbreitenden und durch die Wolken verästenden Sonnenlicht, einen wunderbaren himmlischen Lichtbaum erblickte, der Vormittags aufsteige und Nachmittags sich wieder in sich gleichsam zurückzöge. Der Talmud bietet uns noch das einfache Bild, wenn er bei der Morgen­röte an eine aufsteigende und sich durch die Wolken verästende Palme denkt, im Gegensatz zur Lichtsäule des Mondes, welche säulenartig auf­steige. Dementsprechend redet auch Riickert noch von der Sonne goldenem Baum, der im Blauen unbegrenzt blüht, und volksthümlich wird das Bild reproduziert, wenn es in einem kleinrussischen Volksrätsel heisst: Es steht ein Baum in jedem Dorfe, in jeder Hütte wird er sichtbar; und die Auflösung ist:Die Sonne und ihr Licht.

Dem Weihnachtsbaum unmittelbar nähert es sich bei unseren Germanen, wenn es auf Island (nach Maurer) bezüglich des Vogelbeer­baums*) heisst, dass man früher in der Weihnachtsnacht alle seine Zweige mit brennenden Lichtern besetzt gefunden habe, welche nicht erloschen seien, mochte der Wind auch noch so stark wehen.

Bei Tille a. a. 0. S. 186 ist das Weihnachtsfest entstanden aus dem christlichen Jesusgeburtsfest, den römischen Januarkalenden und den deutschen Winteranfangsfeiern, wozu aber Jahrhunderte gehört haben, denn erst das Jahr 354 sah das erste Jesusgehurtsfest am 25. Dezember und zwar in Rom selbst. In Konstantinopel wurde das erste Weihnachts­fest 379 gefeiert. Während das Gesetz des Kaisers Valentinian über die gerichtsfreien Tage vom Jahr 389 ein Jesusgehurtsfest noch nicht kennt, nennen bereits die Erläuterungen zum Gesetzbuch des Westgoten- königs Alarich, mit dem dieses gleich bei seiner Entstehung 406 aus­gestattet wurde, Jesusgehurtsfest und Erscheinungsfest als gerichtsfrei. Dies ist in den Codex Justiniaueus von 534 aufgenommen. Zwischen dem alten und neuen Christigeburtsfest liegt ein Zwischenraum von zwölf Tagen, den der Syrer Ephraim schon im 4. Jahrhundert als heilig bezeichnet« und dessen besondere Verehrungswürdigkeit die Synode von Tours als Dodekahemeron alsZwölften**) anerkannte. Wie viel die Vorstellung von der altgermanischen heiligen Zeit der Zwölften, die bis zum 6. Januar d. J. bis Grossneujahr reicht, hierzu beigetragen haben

*} Sorbus aueuparia. Vgl. meine Mitt. in Monateblatt IV. S. 288. Der Artikel von W. Schwartz ist in dessen Prähistorisch-anthropologischen Studien Berlin 1884 S. 464 flg. wieder abgedruckt. Siehe von dems. Verfasser: Sonntagsbl. des Posener Tageblatts Weihnachten 1881, ferner: Der (rote) Sonnenphallos der Urzeit (Berl. Zeit- Schrift f. Ethn. 1874 S. 180 und Zur indogerm. Mythologie I. Der himmlische Licht­baum in Sage und Kultus (a. a. 0. 1881 S. 139 flg.).

**) Vgl. über die Zwölften meine Angaben im Monatsblatt Brandenburgs II. S. 92.