326
12. (3. öffentl.) Versammlung des V. Vereinsjahres.
Nachmittags schlossen zu lassen und keine Christabend- und Christ- nachts-Predigten zu halten.
So war denn die symbolische Christ- und Weihnachtsfeier mit Baum und Licht von den Märkischen Kirchen auf die Strasse und schliesslich auch von dieser vertrieben und es blieb folgeweise der Weihnachtsfeier nichts weiter übrig, als sich in das Haus und die Familie zu flüchten.
Das ist der Anfang unserer heutigen Weihnachtsfeier. Es ist bezeichnend für den heutigen ethischen Sinn unsers Volks und das unverwüstliche Festhalten an den alten Weihnachtsgebräuchen, dass in der 2. Hälfte gerade unsers, jetzt zur Neige gehenden, vielfach, aber zu Unrecht, als irreligiös und unchristlich verschrienen Jahrhunderts eine rückläufige Bewegung stattgefunden und dass die öffentliche Christfeier mit dem Weihnach^baum vom Hause und der Familie aus in alter, aber weitaus veredelter Form den Wiedereinzug in unsere Gotteshäuser gehalten hat.
Wie also kam der Weihnachtsbaum in unser Haus? Ernst H. L. Krause („Globus“ 1896) meint die älteste bis jetzt bekannte Nachricht über den Weihnachtsbaum i. J. 1508 gefunden zu haben.*) In diesem Jahre am Sonntag vor Mitfasten, kam der Prädikant der Freien Stadt Strassburg, der berühmte Geiler von Kaisersberg, in seiner Predigt darauf, dass alle in Strassburg herrschenden Weihnachtsgebräuche heidnisch seien und abgeschafft werden müssten.**) Die Heiden hätten um Neujahr den Januar oder Janus geehrt: „Etlich mit tantzen nnd springen, ander mit stechen, ander mit danreiss in die Stuben legen, ander mit hechten,***) ander dass sie einander gaben schicken, lebkuchen, wein“ u. s. w. (Die Emeis Bl. 47 sp. 4). Anscheinend handelt es sich aber hier nicht um Aufstellen des Weihnachtsbaums, sondern nur um das Ausschmücken mit Tannenreisig, eine viel ältere, dem Weihnachtsbaum lange voraufgehende Sitte. Krause sagt: um 1600 hatte die katholische Kirche gegen den Tannenbaum nichts mehr einzuwenden. Wie Jos. Göny aus der Beckschen Chronik mitteilt, wurden am Christabend in der Herrenstube zu Schlettstadt „Meyen“ (d. h. Festtannenbäume) aufgerichtet und mit Äpfeln und Oblaten geziert, und von dieser Feier zogen die Mitglieder der Stube, zu denen
*) Tägliche Rundschau. Unterhaltungsbeilage Berlin SO. Dec. 1896. S. 1159 und „Globus“ Bd. 70, 1896 Nr. 24.
**) Johann Geiler von Kaisersberg, geb. zu Schaffhausen 16. März 1445, todt zu 10. März 1510 als Domprediger zu Strassburg, ein derbhumorister Prediger, gewissermassen ein Vorläufer des Pater Abraham a Sancta Clara.
***) Das Wort „hechten“ verrät, dass wir hier Reste des süddeutschen Berchta- kultus vor uns haben — wie auch noch die Salzburgische Waldordnung von 1755 )r Bechl oder Weihnachtsboschen“ kennt.