Heft 
(1896) 5
Seite
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12. (3. öffentl.) Versammlung des V. Vereinsjahres.

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Brich an, du schönes Morgenlicht,

Und lass den Himmel tagen,

Frühmettenljed, Joh. Rist, f 1667,

Schliesslich stellte sich in Deutschland die Sache so, dass in den mehr katholischen Gegenden die Krippe mit dem Abendgottesdienst, in den evangelischen Gegenden mehr der Weihnachtsbaum (Pyramide, Lichterkrone) mit dem Frühgottesdienst überwog. In meiner Jugend war die Christbescheerung am Heiligabend bereits die Regel damit die Kinder nicht vor Aufregung schlaflos blieben, wenn erst am 1. Fest­tag früh bescheert würde. Indessen kamen und kommen noch jetzt in Berlin Ausnahmen vor.

Auch der Weihnachtsbaum wird mehr und mehr wieder in unseren evangelischen Kirchen eingeführt. So setzten Prediger Yogel und ich es, im Gegensatz zu dem den Vorstellungen der Zeit seit etwa 1835 huldigenden älteren Prediger Stechow, im Jahre 1885 dnrcli, dass in der Dorotheenstädtischen Kirche zu Berlin fortan um 5 Uhr eine feierliche Christmette abgehalten und hierbei, in Wiederbelebung einer alten berlinischen Sitte, neben dem Altar rechts und links ein brennender Christbaum aufgestellt wird.*)

Tn meiner Jugend, ich bin 1837 zu Berlin geboren, lag die Sache so, dass anfänglich bei uns zu Weihnachten nur eine papierne Pyramide üblich war, dann erschien eine Pyramide, die mit Kienenreisig umwunden war. Dieser folgte die eigentlich uns weniger befriedigende junge Kiene als Weihnachtsbaum. Die zunehmenden Eisenbahnen brachten die statt­lichere und handlichere Rottanne (Fichte) vom Harz und von Thüringen her. Seit über 10 Jahren erscheint auch die vornehme Edel- oder Weis st an ne, von den Berliner Christbaumhändlern gern Silbertanne ge­nannt. Besonders beliebt ist die abnorm starkbenadelte sogenannte Doppel­tanne (Fichte) mit breiten schirmartigen etwas hängenden Zweigen, die vom bayerischen Hochgebirge kommt. Seltener findet sich die Weiss­tanne dementsprechend in der Wucherungsform der Doppeltanne, doch besass ich eine solche als Christbaum 1894. ln diesem Jahr fanden sich häufig stattliche Christbäume als Silber-Doppeltannen angepriesen, an­geblich aus der Königshaide bei Rathenow. Ich erstand zum diesmaligen Weihnachten einen dergleichen stattlichen Baum für 4 Mark als Christ­baum und Dr. Carl Bolle stellte fest, dass es Abies balsamea sei, die sich normal durch krause bürstenartig gestellte Benadelung aus­zeichnet. Diese kanadische Balsamtanne, aus welcher der Kanada- Balsam gewonnen wird und die schon seit etwa 120 Jahren bei u?is kultiviert wird, ist mir überhaupt erst seit 189o als Weihnaclitsbauni aufgefallen. Dr. Bolle berichtet, er habe einmal vor ein paar Jahren

*)Bär XII S. 142.