Heft 
(1896) 5
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12. (3. öffentU Versammlung des V. Vereinsjahres.

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Viktoria) haben sie sich in der grossen Yolksmasse durchaus nicht ein­gebürgert. In denjenigen Erdteilen, die ein verschiedenes namentlich heisses Klima beziehentlich unter ganz anderen Breitengraden, haben, fehlen die notwendigen natürlichen Voraussetzungen für eine eigentliche Weihnachtsfeier überhaupt.

Auch in den Ländern deutsche] 1 Zunge, z. B. im grösseren Teil von Deutsch-Tirol, ist der Weihnachtsbaum noch immer nicht überall im Volke üblich.

Ja aus der Urheimat des Christbaums haben wir bedauerlicher Weise seltsame Rückschritte zu verzeichnen. Im Eisass war etwa seit den fünfziger Jahren des laufenden .Jahrhunderts mit anderen deutschen Sitten auch die alte deutsche Weihnachtsfeier in Abnahme gekommen und, obwohl sie sich an manchen Orten ununterbrochen aus alter Zeit bis heute erhalten hat, gilt sie doch jetzt im Lande alsaltdeutsch d. h. rechtsrheinisch und als protestantisch. Vor einigen Jahren wurde sogar im Landesausschuss Protest dagegen erhoben, dass der Kreisdirektor von Chateau-Salins in Lothringen in seinem Kreise den deutschen Tannen­baum einzubürgern suchte, ja es ist sogar erst ganz vor kurzem im Kreise Schlettstadt der Protestantismus alsTannenbaum-Religion be­zeichnet (Schlettstadter Zeitung vom 4. August 1896).

Von einem Siegeslauf des deutschen Weihnachtsbaums wird sicherlich noch lange nicht die Rede sein.

Ganz verkehrt ist der Versuch, den Tille mit einer Entchristlichung des Weihnachtsbaums vornimmt. In Berlin, wo doch eine besonders auf­geklärte und angesehene israelitische Bevölkerung lebt, ist der Weihnachts­baum durchaus nicht in allen Kreisen, wie ich mich durch Nachfrage bei mir befreundeten jüdischen Familien überführt habe, üblich. Nicht ein­malaufgebaut d. h. bescheert und beschenkt wird überall. Am meisten verbreitet ist die christliche Weihnachtssitte, wie das leicht verständlich, bei der israelitischen Reform-Partei. Die altorthodoxen Juden in Deutsch­land wollen bislang vom Weihnachtsbaum und vom Weihnachtsbescheeren nichts wissen, weil sie von ihrem besonderen religiösen Standpunkt ganz folgerichtig in der Weihnachtsfeier eine spezifisch christliche Feier, das Fest des christlichen Messias sehen, den sie nicht als wirklichen Messias anerkennen dürfen.

Den speziell christlichen Charakter wird also Tille mit allen Künsten der Dialektik nnserm schönsten religiösen Volksfest nicht rauben können. Tille berichtet u. a. auch über eine Weihnachtsschaustellung

leuchteten. Der Geistliche erschien und las die erste Messe. Die Messe war zu Ende und der Geistliche intonierte:Gott wird geboren 11 , und die Menge sang die Melodie nach und führte sie mit so mächtiger Stimme, dass die Erde dröhnte und die Zweige der Weihnachtsbäume und die Flämmchen der Kerzen erzitterten. (Ein Weihnachts­bild aus dem Osten. Nach dem Polnischen von Theodor Brunn.)