Heft 
(1896) 5
Seite
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12. (3. öffentl.) Versammlung des V. Vereinsjahres.

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in Castans Panoptikum. Tille hätte statt dessen besser gethan, vor Abschluss seinerDeutschen Weihnacht sich sowohl in den Kirchen als auch in den bürgerlichen christlichen Familien umzusehen. Er würde dann in Tausenden und aber Tausenden von Berliner Familien folgendes gefunden haben. Schon wochenlang vor Weihnachten lernen die Kinder christliche Weihnachtslieder, teils aus dem Gesangbuch, teils im selben Geiste gehaltene Volkslieder*) und sagen sie unterm Lichterbaum am Heiligenabend auf.**) Nicht selten fragt derWeihnachtsmann, der in Berlin an Stelle des Knecht Ruprecht getreten ist und den ein älterer Mann der Familie oder ein Freund darstellt,***) ob die Kinder auch gut beten können. Dann wird das Weihnachtslied hergesagt.Dies ist der Tag, den Gott gemacht scheint hierbei noch immer das üblichste Weih­nachtslied zu sein. Vorher oder bei der Eröffnung des Christzimmers wird in allen besseren Familien das im 18. Jahrhundert komponierte, aus dem tirolischen Zillerthal stammende, vielleicht von den vertriebenen Zillerthalern mitgebrachte Lied:

Stille Nacht, heilige Nacht! Alles schläft, einsam wacht

Nur das traute hochheilige Paar, holder Knabe im lockigen Haar,

Schlaf in himmlischer Kuh! u. s. w.

*) Selbst das stellenweis etwas altvaterisch klingende Lied:

Morgen, Kinder, wird's was geben, morgen werden wir uns freu'n!

Welch ein Jubel, welch ein Leben wird in unserm Hause sein.

Einmal werden wir noch wach, heissa, dann ist Weihnachtstag!

wird noch in Berlin gelernt und aufgesagt; wenigstens die zwei ersten Verse des gut­gemeinten, allerdings etwaslangtögsch geratenen Liedes werden noch gelernt, ebenso der pädagogisch sehr nützliche letzte Vers:

Lasst uns nicht bei den Geschenken neidisch aufeinander sehn,

Sondern bei den Sachen denken, wie erhalten wir sie schön,

Dass uns ihre Niedlichkeit lange noch nachher erfreut.

**) In ungezählten Berliner Familien wird vor dem Weihnachtsbaum das unver­gängliche Kernlied Gellerts gesungen, mindestens aufgesagt:

Dies ist der Tag den Gott gemacht, sein werd in aller Welt gedacht;

Ihn preise, was durch Jesum Christ im Himmel und auf Erden ist etc.

Bei den Schulkindern um deswillen besonders beliebt, weil sie es als zu dem eisernen Bestand der Schullieder gehörig, schon früher gelernt haben, wobei sie sich allemal freuen, wenn sie Vers 8 glücklich hinter sich haben, weil Vers 9 mit Vers 1 gleich­lautend ist.

***) Kührend ist es, dass da wo kein geeignetes männliches Wesen aufzutreiben, die älteste Schwester oder die Mutter sich als Weihnachtsmann (Knecht Ruprecht) verkleidet und dessen barsche Stimme, so gut es geht, nachahmt. Die Grosstadt bringt es mit sich, dass die Kinder an viele Weihnachtsmänner glauben, sie halten diese offenbar für eine Art Weihnachts-Polizei.