13. (4. öftentl.) Versammlung des V. Vereinsjahres.
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Ballon führt immer neue Bilder herbei, bald eine herrliche Waldlandschaft, bald einen Herrensitz mit stolzem Schloss und grossem Parke, bald ein freundliches Landstädtchen. Alle diese Bilder ziehen in gleich- massiger Geschwindigkeit vorüber, „kaum gegrüsst, gemieden,“ wie es in dem Lenauschen Gedicht vom Postillon heisst. Jetzt kann man vom Ballon aus neben diesen Naturgenüssen die interessantesten Betrachtungen anstellen, Vergleiche ziehen zwischen verschiedenen Gegenden bezüglich der Bodengestaltung und Bodenausnutzung, bezüglich der Bauart der Ortschaften, ob wendische oder deutsche, in der Beschaffenheit der Wegeverbindungen und der Lebhaftigkeit des Verkehrs. Industrie-Bezirke kennzeichnen sich in der Regel schon von weitem durch einen Wald von Schornsteinen und machen sich durch das Getön der Dampfpfeifen wenig vorteilhaft bemerkbar. Wenn man über ein und dieselbe Gegend im Verlaufe eines längeren Zeitraumes wiederholt hin wegfliegt, so bietet der Anblick derselben Gelegenheit zu interessanten Vergleichen bezüglich des Fortschrittes der Kultur. Man sieht, wie sich das Wegenetz entwickelt, wie der Chausseebau fortschreitet, wie Eisenbahnlinien neu entstehen; man verfolg! den Bau von Kanalverbindungen und erkennt an der Frequenz des Schiffsverkehrs den wohlthätigen Einfluss solcher Wasserstrassen, man bemerkt, wie Kulturen jedweder Art angelegt werden, Urbarmachungen, Ausrodungen und Entwässerungen ihren Nutzen zu Tage fördern. Solche Betrachtungen machen den Luftreisenden für kurze Zeit zum National - Ökonomen. Besonders in der Umgegend von Berlin kann man in dieser Beziehung die interessantesten Studien machen. Das Herauswachsen der Stadt rückt ununterbrochen näher an die umliegenden Ortschaften heran, die winkeligen Dorfstrassen der Vororte werden mehr und mehr begradigt, ihre Hütten verschwinden sichtlich und machen den Miethskasernen der Vorstadtbevölkerung, sowie den Villen der reicheren Peripherie-Bewohner Platz. Statt der kleinen ländlichen Anwesen entwickelt sich eine blühende Gartenbau-Kultur und weiter im Umkreise der Millionenstadt greifen Rieselanlagen immer mehr und mehr um sich. Ich entsinne mich noch genau, wie vor Jahren die Rieselfelder im Süden der Stadt eine besondere Eigentümlichkeit dieser Gegend ausmachten, und heute kann man kaum eine Ballonfahrt aus der Reichshauptstadt unternehmen, ohne in irgend einer Ecke des Gesichtsfeldes eine Rieselfeld-Anlage zu erblicken. Wir Aeronauten lieben diese schlammig-feuchten Geländestrecken wenig. Uns erscheint eine Landung in einem Rieselfelde, wie dieselbe auch schon stattgefunden hat, nicht zu den Freuden dieser Welt zu gehören.
Sie sehen, meine hochverehrten Herrschaften, dass die Beobachtungen, welche bei dem Fluge über die Erde hinweg aus dem Ballon angestellt werden, viel interessante Objekte finden und dass man dabei viel lernen kann. Es ist ein ungemein intensives Geographie-Studium,