14. (5. öffentl.) Versammlung des V. Vereinsjahres.
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haben die ansprechende Gewohnheit, am Abend vor dem Todestage eines Angehörigen für diesen ein Toten licht anzuziinden, das gegen Feuersgefahr in einer Glasschale steht und die Nacht hindurch brennt. Die Katholiken gelten oder gaben Sterbenden eine brennende Kerze in die Hand, welche nach dem eingetretenen Tode zum Erlöschen gebracht wird. Mit diesem Licht in der Hand wird z. B. regelmässig die sterbende Jungfrau Maria von den Malern dargestellt. Bei Begräbnissen von Katholiken habe ich selbst gesehen, wie die Teilnehmer dem Sarge mit brennenden Lichtern folgten, die erst gelöscht wurden, nachdem derselbe in die Gruft versenkt war. Besonders verbreitet ist aber der Lichterkultus am Aller Seelen-Tage, am 2. November, wo auf unzähligen Gräbern Lichter brennen. Da nun für unsere hiesige Kinderwelt das Weihnachtsfest das schönste Fest und der brennende Lichterbaum gewissermassen die Krone des Festes ist, so haben sicherlich zuerst zärtliche Mütter bei uns angefangen, Lichter auch an den Christbäumen der Gräber ihrer Lieblinge anzubringen und dieselben mit Eintritt der Dunkelheit, ehe die Familie zur ßescheerung sich im Hause versammelt, anzuzünden. Es war für mich am Heiligabend 1895 eine ergreifende Szene, als ich auf dem kleinen Friedhof, welcher hinter der St. Johanniskirche in Moabit liegt, sah, wie eine Mutter, die noch 3 oder 4 kleine Kinder, Brüderchen und Schwesterchen des verklärten Lieblings bei sich hatte, die kleinen Lichter des Weihnachtsbäumchens anzündete, welches sorgsam am Kopfende des Grabhügels aufgepflanzt war. Die Mutter that es heftig weinend — aber sie ging ersichtlich doch etwas getröstet von- dannen. Auch kleine Pyramiden habe ich auf Berliner Kindergräbern hie und da gesehen, meist auf Gräbern von Kindern Unbemittelter. Diese Art Totenkultus ist eine gemütvolle herzerfreuende Sitte, welche eine Parallele in der von unseren germanischen Vorahnen vor mehreren tausend Jahren bereits geübten Sitte hat, den Kindern allerhand Lieblingsspielsachen, kleine Gefässchen, Klapperbüchsen und dergleichen ins Grab mitzugeben, Gegenstände, welche von unseren Altertumsforschern recht häufig in den vorgeschichtlichen Grabfeldern, namentlich auf den von mir sogenannten ostgermanischen Urnengrabfeldern mit Leichenbrand, ausgegraben worden sind.
Die Polizei hat sich gegen diese neue Sitte, die Lichter kleiner Weilmachtsbäume auf den Gräbern anzuzünden, bisher verständiger Weise nicht eingemischt. Grosse Grabweihnachtsbäume erhalten bis jetzt keinen Lichterschmuck und es würden gegen einen solchen allerdings feuerpolizeiliche Bedenken nicht ausgeschlossen sein.
Wie weit diese gedoppelte Sitte: um die Christzeit Weihnachtsbäume auf den Gräbern zu pflanzen und die Lichter der Kinder-Weih- nachtsbäumchen auf den Gräbern am Heiligabend anzuziinden, sonst in der Provinz Brandenburg sowohl in den Städten, wie auf dem Lande
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