Heft 
(1896) 5
Seite
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14. (ö. öffentl.) Versammlung des V. Vereinsjahres.

verbreitet sei, vermag ich nicht zu sagen und wären mir hierauf bezüg­liche Angaben aus dem Kreise unserer Mitglieder sowie unserer Freunde und Gönner sehr willkommen. Wie schon angedeutet, erleichtern wir durch zeitliche und örtliche Feststellung derartiger neuer Sitten in der Gegenwart späteren Forschern die Arbeit bedeutend.

Unser Mitglied, Herr Direktor IT. Seide bemerkt zum Thema des Christbaums und der Christinette folgendes.

Bezüglich der Frage, seit wann die Tanne als Weihnachtsbaum benutzt wird, erlaube ich mir folgende Mitteilung:

In dem GedichtDer Christabend von Fr. Kind,*) (dem Text­dichter des durch Carl Maria v. Webers Musik unsterblich gemachten Freischütz), welches mit den Worten:

Still! Was schleicht dort so allein,

Jammert dort in Frost und Wind?

beginnt und mit dem bekannten Sentenzspruch:

Gott verlässt die Seinen nicht

schliesst, finden sich zweimal Andeutungen aii die Weihnachtstanne.

In der 8. Strophe heisst es:

Alles darf sich freun und naschen,

Doch wer putzt für mich den Baum?

und die 23. Strophe lautet:

Fern scholl Orgelklang und Mette Und behängt mit Mtitz und Tuch,

Stand ein Tannenbaum am Bette Der vergüldte Äpfel trug.

Die Gedichte von Fr. Kind sind zuerst 1808 in Leipzig, 2. Auflage 18171825 ebendaselbst erschienen. Demnach musste die Tanne als Weihnachtsbaum schon im Anfang dieses Jahrhunderts bekannt ge­wesen sein.

Möglicherweise aber waren die Tannen als Weihnachtsbäume in Österreich früher, als bei uns gebräuchlich, indem der Vorgang, von dem das Gedicht erzählt, in Wien zu spielen scheint, da es daselbst in der 3. Strophe heisst:

. . vom Stephansdom Rief die Glocke sieben schon.

*) Job. Friedrich Kind, geb. 4. März 1708 in Leipzig, lebte hauptsächlich in Dresden und starb daselbst am 25. Juni 1843. In den sächsischen Städten sind Weih­nachtsbaum und Pyramide anscheinend so lange wie in Berlin, also etwa seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts bekannt.