Heft 
(1896) 5
Seite
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£. Lemke.

Um Sie nicht zu ermüden, geehrte Anwesende, muss ich auch auf die ausführlichen Erklärungen Virchows verzichten, welche in Bezug auf die ausserordentliche Zähigkeit im Festhalten bestimmter Formen und Ornamente neolithischer Zeit in Italien uns ein sprechendes Bild dortiger Verhältnisse liefern und zugleich die Beziehungen zwischen Italien und Deutschland erörtern. Nur wenige Worte seien wiedergegeben. Der Thon ist das am meisten bildsame Material, und man sollte bei dem Töpfer eine besondere Neigung zu selbstständigen Neuerungen er­warten ; aber gerade bei ihm zeigt sich eine ganz besondere Hartnäckig­keit in der Erhaltung der Formen. Als Beispiel dafür möchte ich (sagt Virehow) darauf hiuweisen, dass in Italien die neolithische Ornamentik sich noch bis in die Villanova-Zeit erhalten hat. Das Schnur-Ornament lässt sich, teils rein, teils in künstlicher Nachbildung, noch darüber hinaus an dem Topfgerät der Bologneser Gräber [also bis in die reine Bronzezeit] nach weisen.* **) )

Eine sehr naheliegende Frage, die so ziemlich auch jedem von Ihnen, geehrte Anwesende, zu den allerersten Fragen gehören wird, insofern Sie nicht schon durch eigene Studien die Schwierigkeit der Be­antwortung kennen ist jene nach der Zeitstellung resp. Dauer neoli­thischer Kultur. Da kann nicht oft genug betont werden, dass man wohl einzelne Stufen der Entwicklung oder lokale Eigentümlichkeiten mit verhältnissmässiger Sicherheit bestimmen kann, aber nur mit einer ungefähr bestimmten Jahrhundei*t-Zahl rechnen darf, auch schon deshalb, weil jede Kultur (Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit, mit ihren Unterabteilungen) in verschiedenen Ländern verschiedene Ausdehnung gewann, hier z. B. die Steinzeit früher allmählich abgelöst durch Be­nutzung der Metalle, dort länger festgehalten, wie in ostbaltischen Ge­bieten, nämlich Estland, welche Gebiete sich noch bis zum Beginn christlicher Zeitrechnung in Stein-Kultur befanden.

Doch alles schiebt sich weiter und vergeht, so auch die Viertel­stunden, mit denen ich meine Zuhörer an ihren Plätzen festhalten darf. Daher genug von der Steinzeit! ausgenommen eine letzte Bemerkung. Zu den Einzelheiten, welche die Forscher besonders interessieren, ge­hören die Gefässe mit durchlochtem Rande. Obwohl ein grosser Zeitraum zwischen den Pfahlbauten der Schweiz und denen meiner Heimat üst- preussen liegen muss, findet man die gleiche Erscheinung bei beiden: die Ränder vieler Gefässe weisen kleine Löcher auf. Balduhn*) sagt: Durchlochte Ränder sind bei Gräberurnen nicht beobachtet worden. Ausser den Pfahlbauten können wir Wohnstätten der Vorzeit nicht fest­stellen, in denen Speisen gekocht worden, deshalb die Vermutung, dass

*) Verh. d. Berl G. f. A., E. u. U., 1884, S. 208.

**) S. Ber. d. A.-G. Prussia, 188788, S. 138.