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19. (8. ordentl.) Versammlung des VI. Vereinsjahres.
Brauhausberg hatte. Von seinem Schreibtische aus konnte er vermittelst dreier Spiegel den Lustgarten, die Brücke und die ganze Umgebung des Schlosses übersehen. Unter dem Fenster zunächst der Brücke steht eine alte Linde, welche noch jetzt die Bittschriften-Linde genannt wird, weil an ihr diejenigen ihren Standplatz zu wählen pflegten, welche ein Gesuch in die Hände des Königs zu bringen wünschten. Die halbverwachsenen Narben, die einige Fuss von der Erde ringsum in der Kinde des Baumes zu sehen sind, sollen von dem Pflücken und Zupfen herstammen, womit die Bittsteller in der Unruhe ihres Herzens den Stamm verwundeten. — Heute noch, wenn jemand um die Erfüllung eines Wunsches so recht in Sorge ist, geht er um Mitternacht unter diese Linde und schaut hinauf nach dem Eckfenster; scheint dieses wie durch ein blasses Licht von innen heraus erleuchtet, so ist dies ein sicheres Zeichen, dass der Wunsch in Erfüllung gehen wird.“
Dass der Linde im allgemeinen eine gewisse Heiligkeit beigelegt wurde, wird oft behauptet; noch im Mittelalter hielt man unter einer Linde Gericht.
In seiner ebenso wissenschaftlich, wie liebenswürdig plaudernd geschriebenen Abhaudlung „Freiwillige Baum- und Strauch-Vegetation der Provinz Brandenburg“ sagt Carl Bolle: „Wegen früherer fast ausschliesslicher Verwendung dieser Baumart (nämlich der Linde) zur Strassenbepflanzung erscheint in unseren Mauern der Ausdruck „Die Linden“ als so gut wie gleichbedeutend mit Promenadenweg überhaupt, wozu uns allen geläufige, z. T. weithin berufene Lokalbenennungen den besten Kommentar liefern. Schon die Gassenordnung von I735 empfahl dem Nachtwachmeister den Schutz der „publiquen landen“. Die Mark Brandenburg ist zwar kein Land der Lindenwälder, wie sie der europäische Osten besitzt, aber sie steht im Reichtum an herrlichen Einzelbäumen keinem Nachbargebiete nach. Das alte Berlin hat viele und grosse Linden innerhalb und ausserhalb des Mauerrings besessen, so beim Heiligen Geist - Hospital, zu St. Nicolaus, zu St. Georg und St. Gertraud. Eine der letzteren, dicht vor dem Tliore, da, wo jetzt der Spittelmarkt ist, stehend, galt ihrer Grösse halber lange für ein Wahrzeichen der Stadt. Der Chronist Bekmann hat uns eine Anzahl Linden vorgeführt, die bereits vor mehr als 1e 1/ 2 Jahrhunderten ehrwürdig Denkmäler alter Zeit waren. Von der stärksten Rönnebecker Linde weiss man, dass sie im Jahre 1703 — damals 200 Jahre alt — vom Winde auf das Kirchendach geworfen und ganz abgebrochen worden war, aber von neuem wieder eine andere (grosse und starke) Linde in die Höhe getrieben hat. Zahllos sind die Örtlichkeiten, welchen die Linde, sei es in deutscher, sei es in der vergessenen slavischen Zunge, den Namen verliehen hat. So enthält die Umgegend Berlins zwei der Seeregion der Havel angeliörige Inseln, die Lindwerder heissen; sie hat