Heft 
(1898) 7
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19. (8. orilentl.) Versammlung des VI. Veieinsjahres.

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zwei Uferstrecken, Liepe genannt, und in etwas weiterer Entfernung den schonen Liepnitzsee. Den Spreewald kennzeichnet sein so wohlbekanntes Dorf Leipe. Viermal wenigstens wiederholt sich innerhalb der Provinz die Benennung Lindenberg, während es ermüdend sein dürfte, andere analoge Lokalbezeichnungen, wie Lindow, Lindstädt, Linderode, Linden­busch u. s. w. auch nur mit einiger Vollständigkeit anzuführen.

Wilhelm Waegner macht uns darauf aufmerksam, dass die Linde mit der Göttin der Liebe in Beziehung gestanden haben muss und weist dabei hin auf die häufige Erwähnung in Volksliedern*). Dem wäre zu ent­gegnen, dass gewiss nur der Zufall dahintersteckt; Liebenden ist es doch vollständig gleichgültig, als was der Botaniker den schönen Baum ansehen müsste, der ihnen zu einemStelldichein Gelegenheit giebt. So sass auch Baumbachs liebreizende Wirtin nur zufällig unter einer Linde, weil eben dieser Baum vor dem Kruge stand, welchem er nach vorhin angeführtem Muster seinen Namen gegeben hatte.

Wie ich erwähnte, dass in Potsdam (nach altem Volksglauben) sehnsüchtig Wünschende unter die sogenannte Bittschriften-Linde treten und nach dem Eckfenster schauen, wo Friedrich der Grosse so oft ge­weilt hatte, so kann ich Sie, geehrte Anwesende, zwanglosUnter die Linden Berlins führen, von wo aus uns doch nur wenige Schritte zu einem anderen berühmten Eckfenster bringen. Auch aus diesem Eck­fenster blickte ein Hohenzoller auf die davor Versammelten, ihm Ver­trauenden. Und wenn wir hier einen kleinen Ausflug in die Gebiete des Volkstümlichen und Kulturgeschichtlichen märkischer Pflanzenwelt unter­nahmen, so werden Sie alle es wohl gerechtfertigt finden, wenn ich der Blume gedenke, welche für unabsehbare Zeit mit dem ehrwürdigen Bilde unseres ersten Kaisers verbunden bleiben wird. Die Kornblume steht mir (der Ostpreussin) besonders nahe, denn sie war Kaiser Wilhelm I. so lieb und bedeutungsvoll geworden, seit sie mit nie vergessenen Er­innerungen an die geliebte Mutter d. h. an die Flucht nach Ostpreussen und die ganze traurige Zeit zu Anfang unseres Jahrhunderts in nahe Verbindung trat. Als auf der Fahrt von Memel nach Königsberg der Wagen zerbrach, den die Königin Luise und ihre Söhne benutzten, suchte die anmutige, zärtliche Mutter den kleinen müden und weinerlichen Wilhelm zu erheitern, indem sie ihm die schönen blauen Blumen auf dem Felde zeigte und dann eifrig diese Blumen pflückte, um einen Kranz daraus zu winden, mit welchem sie den Sohn schmückte. Als ich im vorigen Jahre den Park Luisenwahl bei Königsberg besuchte, sind meine Gedanken viel zu der erhabenen Fürstin gewandert, die einst auf diesen Wegen und Plätzen in tiefem Herzeleid dahinschritt. Auch hier hat die

*) Wilhelm Waegner, Unsere Vorzeit. Nordisch - germanische Götter und Helden. (3. Aufl.) II. S. 153.

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