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2. (1. ordentl.) Versammlung des VII. Vereinsjahres.
Minnelieder und der Meistersänger war in Bezug auf die Melodie nach unserem Geschmack die traurigste. Das bestätigte vollauf die Probe, welche der Vortragende aus einem Meisterlied gab. Den Nutzen aber hatten die Meistersänger, dass sie der Dichtung die I huren der Bürgerhäuser ölfneten. Während wir den Text von einigen sehr alten Liedern kennen, fehlen uns die Melodien. Diese kennen wir erst aus dem 14. Jahrhundert, und für die früheren Zeiten geben die Quodlibets einige Anhaltspunkte. Ein solches ist z. B. das Dannhauserlied. Wie treu das Volk alte Lieder festhält, das lehrt das Wernherlied: „Du bist min, ich bin din, des solet Du gewis sin“, das uin 117U niedergeschrieben wurde. Aus dem 18. Jahrhundert giebt es ein Jägerlied, das auch vom Herzen und dem Schlüsselein handelt. Aus derselben Zeit stammt auch ein Bergmannslied aus Freiberg, das einen ähnlichen Schluss hat. Und noch heutigen Tages sind Anklänge an dasselbe in Tirol, Thüringen etc. zu treffen. Wie es sich mit dem Text verhält, so verhält es sich auch mit der Melodie. Eine Secpienz aus dem 15. Jahrhundert zieht sich durch die Lieder: „Vive Ia compagneia“, „Ein Grobschmied sass“, „Die Leineweber haben“, „Hinterm Ofen, hinterm Ofen“, „Die Pinzgauer“ bis „Zu Mantua in Banden“ und „Ein lustiger Musikante“. In früheren Zeiten, z. B. noch zu Luthers Zeiten, war die Kunst des Gesanges weitverbreitet; die Freunde Luthers waren Dichter und Komponisten, und ihre Schöpfungen drangen ins Volk. Heute ist es anders. Die grossen Werke von Bach, Mozart, Beethoven, Spohr u. a. sind nur ein Schatz für die höheren Schichten. Weiter verbreitet sind allein Wiener Walzer, Märsche etc. Nicht zu unterschätzen ist die Wirkung des protestantischen Chorals. In jenen Zeiten gab es noch keinen Unterschied zwischen weltlichem Lied und Kirchenlied. Die Melodie des weltlichen Liedes „Innsbruck, ich muss dich lassen“ wurde verwertet für „Nun ruhen alle Wälder“ und für „O Haupt voll Blut und Wunden“. Bach machte sie zum Mittelpunkt seiner Matthäus-Passion mit dein Liede „Wenn ich einmal soll scheiden“. Ein eigentümliche Stellung nehmen die Balladen ein. Ursprünglich sind es Tanzlieder heiteren Inhalts und erst später erhalten sie einen düsteren Charakter. Der Vortragende trägt hier eine Ballade aus dem 16. Jahrhundert vor: „Es ritt ein Herr und auch sein Knecht“. In früheren Zeiten hatten auch die Volkslieder einen heiteren Inhalt, auch sie sind heute sentimentaler Natur. Im 17. Jahrhundert entstehen die sogen. Scheidelieder „Morgen muss ich fort von hier“. Brahms „Dort unten im Thale“ charakterisiert der Vortragende als Gegenstück dazu. Die Zeit der Schlesischen Dichterschule war für das Gedeihen des Volksliedes am ungünstigsten. Es bildete sich hier der Unterschied heraus zwischen Vornehm und Volk. Die Art der Dichtung war geziert und galant. Erst das vorige Jahrhundert nahm den Kampf hiergegen auf und zwar in erster Linie durch die Soldatenlieder, wie
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