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3. (2. ordentl.) Versammlung des VII. Vereinsjahres.
„Neidkopf“ aus der in der älteren deutschen Rechtssprache vorkommenden Bezeichnung „Neidbau“ für eine, die Aussicht beschränkende Mauer. Es bleibt indess noch fraglich und unsre rechtsgelehrten Mitglieder nehmen vielleicht hieraus zu einer Untersuchung darüber Anlass, ob in der Mark jemals die Markierung eines solchen Servituts durch einen in der bezüglichen Richtung blickenden Kopf vorgeschrieben oder auch nur gebräuchlich war. Jedenfalls passt die Deutung nicht auf die Örtlichkeit in der Heiligen Geiststrasse, soweit die Berliner Lokal- gescliichte Material für die Beurteilung liefert und da wir nichts zuverlässigeres haben, müssen wir schon noch daran festhalten, was Cosmar in seinen 1851 gedruckten „Sagen aus Berlins Vorzeit“, gestützt auf glaubwürdige Erzählungen alter Leute, überliefert und was sonst Louis Schneider in seinem Vortrag von 1865 darüber berichtet. Für diejenigen Anwesenden, denen die Sage und der weitere Hergang nicht bekannt sein sollte, referiere ich kurz: Der „Neidkopf“ war vordem von keinem Berliner Chronisten erwähnt worden. Im Jahre 1841 beseitigte ihn die Besitzerin des Hauses, Witwe Arents, weil sie Anstoss an der hässlichen Fratze nahm. Auf Odebrechts Veranlassung wünschte der Märkische Geschichts-Verein, den Kopf zu erwerben; das Geschäft scheiterte aber au der Preisforderung von 10 Friedrichsd’or. Frau Arents liess inzwischen das Wahrzeichen an einem Hintergebäude einmauern, das in den 50er Jahren abgerissen wurde, wobei der wohl wenig beachtete Kopf in den Besitz des Antiquars Mai kam. Dort sah ihn Louis Schneider im Jahre 1857. Die inzwischen von Cosmar publicierte Sage in Verbindung mit diesem Kopf erschien ihm interessant genug, um dem König darüber Vortrag zu halten und ihn zu dem Befehl zu bestimmen, dass der Kopf für den geforderten Preis von 6 Friedrichsd’or angekauft und seitens des Polizeipräsidiums die Wiedereinmanerung an der ursprünglichen Stelle bewirkt werde. Der neue Besitzer des Hauses, Goldrahmen-Fabrikant Schultze, gestattete nicht allein die Wiedereinmauerung, sondern auch eine grundbuchliehe Eintragung, dass der Neidkopf ohne Zustimmung des Fiskus weder von seiner jetzigen Stelle entfernt, noch überhaupt verändert werden darf. Louis Schneider hat dann in der ersten Sitzung des von ihm 1865 gegründeten Geschichtsvereins die Neidkopffrage zum Gegenstand eines Vortrages gemacht. Dabei war nicht allein der Cosmarschen Sage, sondern auch einer von Bertram berichteten Version gedacht, die beide in den Vereinsschriften abgedruckt sind.
Nach Cosmar habe König Friedrich Wilhelm I. auf seinen Gängen durch die Strassen Berlins den wenig bemittelten Goldschmidt Lieberkühn Heilige Geiststrasse 38 noch nach Feierabend bei der Arbeit gefunden; da ihm das gefiel, so trat er näher und liess sich über Einzelheiten der Arbeit berichten. Dann besuchte er den Goldschmied öfter