Heft 
(1898) 7
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7. (5. ausserordentl.) Versammlung des VII. Vereinsjahres.

Abscheu und Schrecken vor den prinzlichen Liebesbewerbnngen erfüllt werden musste, ist selbstverständlich. Der junge Prinz aber liess nicht nach, seine Werbungen wurden stürmischer, sein Drängen heftiger und heisser und allmählich wer vermag die Regungen eines weiblichen Herzens zu ergründen zog in Juliens Herz eine sich steigernde Neigung für den Fürsten ein, die Glut seiner Leidenschaft wirkte be­täubend, hypnotisierend auf sie ein. Noch einmal versuchte sie sich dem dämonischen Einflüsse zu entziehen, da sie ihr Unglück und ihre Schande vor Augen sah, sie machte dem Prinzen unter Thränen Vor­würfe und bat ihn, sie in Frieden zu lassen.

Sie vertraute sich ihrer Tante, der Oberhofmeisterin von Voss, an und veranlasste sie, auf den Prinzen einzuwirken. Vergebens Friedrich Wilhelm versprach zwar, infolge ihrer Ermahnung, das Fräulein zu meiden, und war am nächsten Tage weder in Schönhausen. Julie vermied es nach Möglichkeit, ihm zu begegnen, und zeigte sich spröde und zurückhaltend, da sie aber von keiner Seite Beistand oder Rat fand, überliess sie sich schliesslich dem Sehnen ihres Herzens, das sie zum Prinzen hinzog. Als er eines Tages nach der Tafel heftiger als je auf sie einsprach, verlor sie die Fassung und brach in Thränen aus. Natürlich gab die Liebesgeschichte, obwohl sie längst kein Geheimnis mehr war, der Hofgesellschaft Stoff zu allerhand Klatsch, und Juliens Tante versuchte nun, freilich zu spät, durch Entfernung ihrer Nichte vom Hofe der Geschichte ein Ende zu machen. Ein heimlicher Brief­wechsel zwischen den beiden Liebenden schürte indes das Feuer der Liebe mehr und mehr.

Solange Friedrich der Grosse lebte, durfte der Prinz nicht hoffen, seinen Wunsch, Julie von Voss zeitlebens an sich zu ketten, ausführen zu können. Als aber der grosse König am 17. August 1786 seine grossen Augen für immer geschlossen hatte und Friedrich Wilhelm den Thron seiner Väter bestieg, dachte letzterer sogleich daran seinen Lieblingswunsch zu verwirklichen. Diensteifrige Hofschranzen sorgten dafür, dass der König möglichst oft in Schönhausen mit Julie von Voss zusammen war, sie wussten den Ehrgeiz des Fräuleins anzustacheln, dass sie durch eine illegitime Heirat mit dem König, diesen aus den Banden der Rietz be­freien und dem Vaterlande einen grossen Dienst erweisen könne, und nachdem auch die Gemahlin Friedrich Wilhelms II. aus diesem Grunde in die Scheinheirat gewilligt, war es leicht, das schöne Hoffräulein zu diesem Schritt zu bewegen. Vergebens versuchten Juliens Verwandte, sie davon zurückzuhalten, vergebens machte die Oberhofmeisterin von Voss den König auf das Verwerfliche solcher Scheinheirat aufmerksam, Friedrich Wilhelm verteidigte sich mit dem Hinweis auf die von Melanchthon erlaubte Doppelheirat des Fürsten Philipp von Hessen und Julie liebte den König nunmehr so innig, dass sie aus Liebe und Pflicht