Heft 
(1898) 7
Seite
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Wanderfahrt nach Steglitz.

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Mieter aufniinmt, nach Möglichkeit mit Arbeit versorgt. Möchten (loch alle wahren Blindenfreunde dies edle Werk durch Beitrittserklärungen, wie durch Abnahme von Waaren und durch Zuweisung kleinerer und grösserer Arbeitsaufträge nach Kräften fördern helfen!

Die Gesellschaft wurde zunächst in die Werkstätten geführt und beobachtete die Unglücklichen bei ihren verschiedenen Beschäftigungen: beim Herstellen von Bürsten, beim Stuhl- und Mattenflechten, bei der Korbmacherei und Seilerei. Mit Staunen nahm man die Geschicklichkeit und Behendigkeit der des Augenlichts Beraubten wahr. In der Bibliothek, wohin die Versammlung darauf geführt wui-de, wurden aus den hohen, dichtgefüllten Regalen in der Blindenschrift hergestellte Bücher heraus­genommen und den Anwesenden zur Ansicht vorgelegt. Kopfschüttelnd fragte man sich, wie es möglich sei, dass diese Schrift die hergebrachte Druckschrift ersetze, dass diese für das normale Gefühl scheinbar nicht unterscheidbaren Zeichen jemanden befähigen, in unserem Sinne zu lesen. Unendlich schwierig schien die Arbeit derer, die sich die Aufgabe ge­stellt haben, diese Kunst zu lehren. Wir sollten gleich sehen, mit welch glänzendem Erfolge in der Kgl. Blindenanstalt im Lesen dieser Schrift unterrichtet wird. Die Bibliothek enthält nicht weniger als 1725 Bände. Neben Büchern erbaulich-religiösen Inhalts ist die Unterhaltungsliteratur stark vertreten. Aber auch unsere Klassiker fehlen nicht. Darnach wurden wir zu Zeugen einer Art Prüfung der Blindenzöglinge gemacht. Es wurden Lese- und Rechenübungen veranstaltet, die immer wieder das Erstaunen und die Bewunderung der Zuhörer hervorriefen. Ein kleiner, etwa zwölfjähriger, durch Oleum des Augenlichts beraubter und im Gesicht entstellter Junge rechnete lediglich mittels des Gedächtnisses mit mehrstelligen Zahlen, dass es eine durch das Mitleid mit dem un­glücklichen Geschick des Knaben freilich getrübte Freude war, ihm zu­zuhören. Das Vorlesen ging ebenfalls überraschend sicher und schnell von statten. Während der Prüfung gab Herr Matthies sehr instruktive Erläuterungen über die beim Unterricht gehandhabte Methode und machte die Anwesenden mit den verschiedenen Systemen der Blindenschrift be­kannt. Zum Schluss hörten wir im Saal der Anstalt Chorgesänge der Zöglinge. Vierstimmig wurden a capella geistliche und Lieder heiteren Inhalts gesungen. Erstaunlich war die Präcision und Sicherheit der ganz sich selbst überlassenen Sänger. Gelegentliche im Flüsterton gegebene Anweisungen des Dirigenten gaben allein die Richtschnur. Der Wohl­klang der Stimmen, die teilweise ernsten Melodien, die tieffliche Aus­führung, der Anblick der Lichtberaubten, all das weckte das tiefste Mit­gefühl der Zuhörer und wahrhaft ergriffen, ja gerührt verliess die Ver­sammlung die so reichen Segen stiftende Anstalt.

Nun teilte sich die Gesellschaft in zwei Parteien. Die eine stieg auf den Fichtenberg, um vom Turm der Charlottenburger Wasserwerke