Heft 
(1898) 7
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Robert Mielke: Der Neidkopf.

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vertraut gemacht, dass in dem entgegengesetzten Falle die Sage unsicher umhertastet, als ob sie sich auf einem ihr völlig fremden Boden bewege. In Magdeburg sieht man an einem Hause einen eingemauerten ver­mutlich nicht gar zu alten Kopf mit der Unterschrift: Das freund­liche Gesicht.*) Der Volksmund erzählt von ihm, dass die Gattin eines gegenüberwohnenden reichen Kaufmanns das schöne Haus gern besessen hätte, dass aber alles Bieten des Gatten an dem beharrlichen Willen des Besitzers scheiterte, bis dieser eines Tages es ist nicht ersichtlich warum selbst das Haus zu einem sehr geringen Preise seinem Gegenüber angeboten, und dass nun der erfreute Kaufmann das Bild habe anbringen lassen zum Zeichen, dass wieder Freude und Sonnenschein aus dem Auge seiner Eheliebsten leuchteten. An dem Sprunghaften und Unwahrscheinlichen dieser Erzählung, in die sicher verschiedene hineingewebt sind, ersieht man doch, dass sie auf dem Vorstellungsboden der Neidempfindung gewachsen ist, dass die Volks­poesie aber unsicher wird angesichts der freundlichen Züge, die so wenig an den Neidkopf erinnern.

So wie in diesem Falle haben auch anderorts die Neidsymbole von ihrer Selbständigkeit veiloren und sind in die Architektur hinein­gewachsen. Schon frühzeitig können wir das verfolgen und beobachten, wie sie mit jedem Schritt ihrer Weiterentwickelung an volkstümlicher Bedeutung verlieren. An alten aus dem XII. und XIII. Jahrhundert stammenden Feldsteinkirchen des nördlichen Schleswig sind bisweilen Köpfe, oft an jeder Ecke einer, angebracht, deren Bedeutung und Her­kunft ganz uubekannt ist, die aber vielleicht eine ähnliche Schutz­wirkung ausüben sollten wie die Neidsymbole. Sie sind dann als Neid­köpfe in Vergessenheit geraten, z. T. wohl dadurch, dass durch die Renaissance andere Symbole nach dem Norden gelangten, die teils ganz neu waren, teils im Rahmen des architektonischen Gerüstes nur eine unbewusste Weiterbildung uralter Überlieferungen sind.

Eine entsprechende Entwickelung können wir auch in Südeuropa verfolgen; hier ist das von Nordafrika herübergedrungene Schutzzeichen der Hand in späterer Zeit künstlerisch für die Thürklopfer und -Griffe verwandt, bei denen die Faust ein beliebtes Motiv ist.

Der Neidkopf, auch der Berliner, ist ein Schutzsymbol wie die Neidinschriften. Der Volksmund, der das ihm unerklärlich Gewordene mit irgend einem Namen, einer Thatsache oder einer dunklen Zurück­erinnerung an seine Kindheitstage in Verbindung bringt und mit der Poesie seines Glaubens umrankt, hat für den Neidkopf mit dem Namen noch die dunkle Vorstellung von seiner einstigen Bedeutung, mit den Fabeln noch seine glückspendende Kraft bewahrt. Möge es noch weiter

*) Grässe, Sagenbuch des Preussischen Staates. Bd. I, S. 254.