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11. (8. ausserordentl.) Versammlung des VII. Vereinsjahres.
der den Feldzug 1870/71 als Offizier raitmachte, ich dessen Unterrichtsstunden : Latein und Griechisch, übernommen hatte und infolgedessen schon fast jeden Morgen in den Frühstunden in das Gymnasium kam. So auch am 3. September 1870. Grosse Aufregung unterwegs. Die Leute liefen zusammen. „Allerneueste Depesche!“ „Was ist denn los?“ „Grosser Sieg, Mac Mahon ist gefangen!“ „Ach was, Mac Mahon! Napoleon ist ja gefangen, den hat man erwischt! Napoleum, hurrah!“ So lännte und schwirrte es durcheinander.
Rasch zur Schule; im Lehrerzimmer war bereits das Lehrer- Kollegium mit dem Direktor versammelt. Es wurde die Frage erörtert, ob nicht angesichts des ungeheuren Ereignisses der Unterricht ausfallen solle. Noch war der Direktor schwankend, ob er dies aus eigner Machtvollkommenheit thun dürfe. Endlich gab er den allseitigen Wünschen nach. Den in den Klassen mit grösster Spannung sich aufhaltenden Schülern wurde verkündet, dass für heute der Unterricht geschlossen sei. Da erhob sich ein so gewaltiger, lärmender Jubel, wie ihn die Schule wohl noch nicht erlebt hatte. Im Nu leerten sich die Klassen, aber nicht nach Hause gings. Ueber die -Se chserb rücke“, so nannte man im Volk die schmale Holzbrücke, da, wo jetzt die Kaiser Wilhelmbrücke sich befindet; der Uebergang kostete sechs Pfennige — die Joachimsthalschen Alumnen brauchten nichts zu zahlen — gings im raschen Lauf nach dem Palais des Königs. Dahin kamen auch Andere von allen Seiten angestürmt. Hier Wurde gejubelt, Hoch gerufen, gesungen, man machte Freudensprünge, man jauchzte in toller Lust, jung wie alt! Denn auch sie, die Alten, d. h. die Erwachsenen, ehrbaren Familienväter, wie wir Lehrer, waren wie vom Taumel ergriffen. War doch „Er“, der Störenfried, gefangen! Nun musste der Krieg bald zu Ende sein. Noch liess sich die Königin nicht sehen; da fuhr in einer gewöhnlichen Droschke der „alte Wi’angel“ vor. „Hurrah, Papa Wrangel! der Napoleon ist gefangen!“ wurde ihm zugejubelt. Er grösste freundlich, ging in das Palais, kam aber bald wieder heraus und rief von der Rampe herab, die Königin werde sehr bald erscheinen und brachte ein donnerndes Hoch auf den König und die Königin aus.
Bald erschien auch die Königin auf dem Balkon; sie begrüsste durch freundliches Zunicken die immer mehr zunehmende Volksmenge. Unbeschreiblicher Jubel! Ein turngewandter Bursche, wenn ich nicht irre ein Schornsteinfegerlehrling, war unterdessen auf das Denkmal Friedrichs des Grossen hinaufgeklettert und hatte oben eine ihm zugereichte kleine schwarz-weisse Fahne befestigt, auch König und Pferd mit rasch gewundenen Guirlanden geschmückt. Die Königin liess den Burschen, nachdem er wieder herabgeklettert war, zu sich bescheiden; er entschuldigte seine schmutzigen Hände, der alte Fritz habe sich lange nicht gewaschen. Die Königin beschenkte ihn. Dies ermutigte