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Carl Bolle, Der Oleander in Berlin.
zu gelangen, stark wärmebedürftig, während er zur Zeit der winterlichen Ruhe höhere Temperaturen ablehnt Dergestalt eignet sich dieser immergrüne Baum, wie kein anderer, zur Stadtpflanze. Er schwelgt im Anprall der Mittagshitze am Mauerwerk und Gestein der Häuserreihen längs der Sonnenseite. Gerade da entwickelt er vom Juli bis September, mit den Schnitt zwar duldender, aber zu regelmässigem Aufbau ungeeigneter Krone voll eigenartigen Laubes, jene volle langwährende Blütenpracht, unter deren Last sich die Zweige beugen. Die Gärten und Parks auf dem Lande zeigen ihn seltener in gleich strotzender Vollkommenheit. Fast möchte man sagen, es gelte für ihn, was von dem grossen Papste Sixtus V. berichtet worden ist, er liebt, wie dieser es that, den Anblick der Dächer. Immer aber wird ihm nachzurühmen sein, dass er etwas von dem wonnigen Hauch des Südens unserem Stadtbilde zufiihren will.
Ein Nachtschmetterling von bewunderungswürdiger Schönheit, der Oleanderschwärmer (Chaerocampa Nerii) wird durch diese transalpine Kultur seiner Nährpflanze zum Fluge über die Alpen gelockt und hat sich in den wärmsten Sommern schon nicht allzu selten bis Berlin verflogen
War es an den genannten Eigenschaften des Oleanders nicht genug, ihm Freunde zu gewinnen? Dazu kommt als maassgebend die grosse Bedürfnislosigkeit der Spezies und ihre ungewöhnliche Lebenskraft. Zwar ist er durch unabänderliche Daseinsbedingungen hier von der Kultur im freien Lande ausgeschlossen, dagegen als Topf- oder Kübelpflanze mit der denkbar grössten Anpassungsfähigkeit begabt. Man weiss, wie schwer es hält, einen Oleander tot zu kultivieren. Wird er vor scharfem Frost und vor Stubenwärme bewahrt, so darf man seines Gedeihens sicher sein, und er bleibt lange Jahre hindurch Haus- und Familiengenosse, in welcher Ausdauer wiederum ein Reiz mehr für den feiner besaiteten Pflanzenliebhaber liegt.
Wie es gekommen sei, dass gerade wir Berliner diesen Baum in so hervorragender Weise adoptiert haben, lässt sich demgemäss zwar leicht begreifen, die geschichtlichen Etappen der Einbürgerung jedoch sind schwerer nachzuweisen. Jedenfalls hat sein Erscheinen zuerst in fürstlichen und herrschaftlichen Gärten, die mit dem Auslande in Verbindung standen, stattgefunden. Zur Zeit des grossen Kurfürsten thut Elssholz seiner nur kurzweg Erwähnung, indem er nebenher bemerkt, diese Baumart erlange in Kreta eine solche Stammesstärke, dass kleinere Balken aus dem Holze geschnitten würden. Unmerklich muss dann ihr Abstieg, wie der mancher Kleidertracht, in weniger aristokratische Kreise erfolgt sein. Bon che giebt 1811 in seinem „Zimmer- und Fenstergarten“ noch ein besonderes Erdgemisch und 2—8 Grad Wärme bei der Überwinterung als für den Oleander erforderlich an. Bald war diesem beliebige Gartenerde und jeder halbwegs frostfreie Raum auf dem Flur oder im Keller als Winterherberge gerade recht; — 5—6 Grad Reaumur schaden ihm bei Annäherung der kalten Jahreszeit nicht. Im Frühjahr, bei aufsteigendem Saft, zeigt er sich empfindlicher, doch, spät austreibend, hierin auch nicht allzusehr.
Nehmen wir an, dass betreffs seiner Verallgemeinerung auch jene Imponderabilien mitgespielt haben, welche wir Zufall nennen. Thatsache ist,