Heft 
(1898) 7
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Carl Bolle, Der Oleander in Berlin.

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er hat wenigstens dies volle Jahrhundert durch, wenn nicht länger, als Zier­pflanze seinen Platz bei uns behauptet.

Den Lorbeer, von jeher ein Schmuck katholischer Kirchen und Klöster, hat erleichterter internationaler Verkehr seit kaum mehr als drei Jahrzehnten von Belgien her bei uns heimischer gemacht. Kasch sich vollziehende Schwen­kung der deutschen Volksseele unter dem Einfluss des Planeten Mars dürfte dabei wesentlich mitgewirkt haben. Dem Oleander dagegen blühte kein augustisch Alter. Unmerklich hat er seinen Fortgang unter uns genommen und, deswegen um so sympathischer, sich zum Range eines wahrhaft volks­tümlichen Gewächses aufgeschwungen. Von den Palästen, zwar nicht in Italien, wohl aber diesseits der Alpen, als altmodisch feragehalten, schmückt er jetzt die bescheidene Alltäglichkeit kleinbürgerlichen Lebens. Auch sieht man ihn nicht selten die Einsamkeit abgelegener Bahnstationen verschönern, an denen der Weltverkehr vorübersaust, nur um sie desto stiller erscheinen zu lassen. Wenn da die mächtigen Blütenbüschel, manchmal rosa mit dem Weiss einer selteneren Farbenvarietät abwechseln, ist es eine Lust für das Auge des Vorüberfahrenden, sich daran zu erquicken.

Nun ein paar Worte zur Naturgeschichte des Oleanders, die vielleicht nicht Allen bekannt sein dürfte.

Fragen wir nach dem woher, so verweigert die Pflanzengeographie die Antwort nicht. Nerium Oleander, wie unser Sinngrün, die Vinca, zur Familie der Apocyneen gehörig, ist nicht, wie von Unkundigen öfters angenommen wird, amerikanischen Ursprungs; seine Wiege liegt uns weit näher. Im wilden Zustande umkränzt es die Gestade des Mittelmeers, dergestalt für uns sowohl biblische wie antik-klassische Reminiscenzen einrahmend. Hier folgt es von Syrien bis Spanien und Marocco dem Lauf der Ströme, den von der Sonnenglut ausgedörrten Fiumaren und Barrancos, dem Sand und Kies der Seeufer, die es mit der Tamariske wechselnd bewohnt. Nicht überall vorhanden, bekundet es stets Vorliebe für geselligen Wuchs. Es verschönert die Landschaft durch die Pracht seiner Blüten in idealer Weise. Weit hinein in die Wadis der grossen Wüste reichend, verringern sich die Standorte auf der europäischen Seite des Mediterranbeckens nordwärts mehr und mehr, in einer Zwergform soll diese Pflanze, wenig beobachtet, den Gardasee als Endpunkt erreichen. Bei Bozen friert sie im freien Lande schon gewöhnlich ab und gelangt nur selten noch zur Blüte. Bis zu den atlantischen Inselgruppen dringt Nerium nicht vor, wohl aber scheint es weit ostwärts in wenig bekannter Grenzlinie mit dem noch schöneren Nerium odorum Indiens zusammenzutreffen.

Entfernteste Dinge berühren sich. Es wäre durchaus nicht ungereimt, wenn man in unserem Moabit vor einem blühenden Rosenlorbeer stehend, an das gleichnamige Gebirge Moab dächte, an dessen Fuss dieselbe Pflanze das tote Meer zu einem lebendigen macht, wie sie denn auch, nach dem Ausspruch der Reisenden, den See Genezareth mit einem fast ununterbroche­nen Gürtel von Rosenrot aufs lieblichste umsäumt und wiederum im fernen Westen Nordafrikas den Lauf der Flüsse, die vom Abhang des Atlas dem westlichen Ocean zueilen, bis zum äussersten Horizont hin durch ihren Farbenglanz erraten lässt. Das gelobte Land erscheint so recht als ein