Heft 
(1898) 7
Seite
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Carl Bolle, Der Oleander in Berlin.

Mittelpunkt der Oleandersphäre. Was dort im Rosenschiminer leuchtet, ist auf der Höhe der Cercis oder Judasbaum (arbre de Judde), in der Tiefe und überall am Wasser dagegen der Oleander, den Schriftkundige mit der Rose von Jericho, einem klangvoll auf andere Gewächse übertragenen Namen, identi­fizieren wollen. Als Ctnirakterbaum fast allgegenwärtig, erwächst er in Judäa bisweilen zur Stärke eines Waldbaums. Bei der verhältnismässigen Seltenheit des Salixgeschlechts in Palästina ist es erlaubt, wo die Bibel von Weiden spricht, an Nerium zu denken und wir erkennen dasselbe in jenen Bachweiden, die einst das Nilpferd des Jordans, den Behemoth, deckten, wie sie heut noch Panther und wilde Eber in undurchdringlichem Dickicht bergen. Wie oft mögen Oleanderzweige zum Laubeshüttenfest gebrochen worden sein.

Immer klingt uns aus der Kindheit das Wort einer Gärtnerin im Ohre: Oleander, dats ne Weide, der kann nie genug Wasser kriegen. Diese Gute, unsere alte Dörthe, besass Sinn für lebendige Naturanschauung, obwohl sie von jedweder Kenntnis botanischer Systematik himmelweit entfernt war. Zwar vermöge seines klebrigen Saftes nicht allzu empfindlich gegen Trocken­heit, ist in der That doch der zahm gezüchtete Oleander, bei uns meist ge­füllt blühend, sei es im eleganten Kübel, sei es im ausgedienten Butterfass, eine allzeit durstige, der Giesskanne eng befreundete Wasserpflanze.

Für die Griechen des Altertums war dies auch Hellas reichlich zuteil gewordene Gewächs, ihr Rosenbaum, das eigentliche Rhododendron, unter welchem Namen wir jetzt jenen wohlbekannten Ericaceenstrauch des immer­grünen kolchischen Buschwaldes verstehen, der in Syrien mit dem Rosenlorbeer zusammentrifft und am Orontes, der Höhe nach abgegrenzt, sich mit diesem in den Wasserlauf teilt. Wohllautend klingt das französische Laurier - rose, dem hie und da im Deutschen das gleichwertige Rosenlorbeer oder Lorbeer­rose nachgebildet worden ist. Philologen wollen wissen, dass aus dem grie­chischen Rhododaphne von den Arabern die Vokabel Difla gemacht worden sei, welche wiederum zu Adelfa umgewandelt, jetzt im Spanischen unseren Baum bezeichnet.

So lebt denn unter uns der Oleander als eine Pflanze, die dem nor­dischen Klima ursprünglich fremd, doch Bürgerrecht in unserer Mitte ge­wonnen hat, indem sie, sonst nutzlos und allein zum Schönheitssinn sprechend, unendlich Vielen Freude und Genuss bereitet. Die Granate ist als Zier­baum veraltet, die Orange auf die Gärten der Grossen beschränkt. Das Volk aber wird sich seinen Liebling, von dem wir hier handeln durften, so leicht nicht nehmen lassen, selbst wenn man ihn, wie das der Goldregen über sich ergehen lassen musste, seiner allerdings unabläugbaren Giftigkeit wegen, verdächtigen wollte.

Zum Schluss etwas, was kaum eine Anekdote genannt zu werden ver­dient. Bereits vor drei Jahrzehnten war die Schutzmannschaft nicht minder eifrig wie jetzt bemüht mit streng ordnender Hand in die Benutzung der Strassenfronten zu Pflanzenschmuck einzugreifen. Nun ereignete es sich, dass vor einem Hause nahe dem Potsdamer Thor, langer Gewohnheit folgend, prachtvolle Oleander ganz ungeniert blühten. Ein Konstabler forderte un­erwartet deren Entfernung. Was that der betreffende Hauswirt? Schnell entschlossen, schnitt er von seinen Schmuckbäumen ein grossmächtiges