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14. (5. ordentl.) Versammlung des VII. Vereinsjahres.
überirdischem Glanze erfüllt und welches auf die Gläubigen einen weihevollen, aus der Misere des täglichen Lebens erhebenden Einfluss ausübt.
Die heilige Schrift giebt die Motive für die zur Darstellung gelangenden Sujets und so entstehen an den Wänden die Bilder der biblischen Geschichte und die Symbole für die heiligen Handlungen und Sakramente. Das Innere der Kirche wird so selbst zum Verkündiger des Evangeliums und ersetzt den des Lesens unkundigen Gläubigen nicht nur die Bibel, sondern gräbt die Heilslehren viel tiefer in ihr Gemüt, in ihre Herzen ein, als es die Worte des Predigers, oder gar tote Schriftzeichen je vermocht hätten.
Das naiv empfindende Volk verstand damals noch die Sprache des Künstlers, selbst da, wo er Symbole und heilige Zeichen als verzierendes Ornament anwandte, während heute, wo eine Vorliebe für den byzantinischen und romanischen Stil die alten Formen wieder aufleben lässt, der ausführende Künstler häufig nicht einmal die Bedeutung derselben kennt, geschweige denn, dass das Volk noch ein Verständnis dafür besitzt, und so entsteht eine kalte, leere Formensprache, die niemand versteht und die daher auch nicht im entferntesten einen solchen Eindruck hervorruft wie es bei den zur Blütezeit der altchristlichen Kunst entstandenen Werken der Fall war.
Hervorragende Arbeiten aus jener Periode, die uns bis heute, in zum Teil vollendeter Weise, erhalten geblieben, linden sich in reicher Anzahl in Rom, s. u. a. im Baptisterium des Lateran, in 8. Pudentiana, in S. S. Cosma e Damiano in S. Agnese, sowie in S. Maria in Domnica; aber auch das übrige Italien, besonders Mailand und Neapel weisen Beispiele davon auf.
Vor allen Dingen aber ist es Ravenna, das unter Honorius die Hauptstadt des westlichen Reiches wurde, welches uns eine Reihe der kostbarsten musivischen Arbeiten erhalten hat.
Sie finden hier im Saale eine komplette Kollektion photographischer Aufnahmen fast sämtlicher alten ravennatischen Mosaiken und ich glaube, es wird Sie interessieren dieselben einer eingehenden Durchsicht zu unterziehen.
Ich erwähne nur kurz, als besonders beachtenswert, die Kuppel der im Jahre 430 erbauten Taufkapelle S. Giovanni in Fonte, ein Bogenfeld, den guten Hirten darstellend, aus der Grabkapelle der Galla Placidia, sowie die an Ort und Stelle durch einen unserer Künstler aufgenommene farbige Copie des Paulus aus demselben Bauwerke; ferner den Zug der Jungfrauen und Jünglinge in der S. Apollinare nuovo, ebenso die kleineren Bilder aus Christi Leben und Leiden aus derselben Kirche und zum Schlüsse den Kaiser Justinian und die Kaiserin Theodora in S. Vitale,