Wagner, „Zur Geschichte und Technik des Mosaiks“.
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weiteres Wort zu verlieren. Aber gerade in ihrer äusserst prekären Beständigkeit liegt ihre grösste Schwäche. Sie bedarf vollkommen geschützter Räume, und selbst dieser Schutz ist ein recht zweifelhafter, weil die Art ihrer Herstellung die minimalsten Anlässe als ausreichend erscheinen lässt, um die chemische Veränderung ihrer Bestandteile und damit, wenn auch nicht sofort ihre Existenz, so doch ihre volle Wirkung auf das Erheblichste zu beeinträchtigen. Man braucht nur an den Verfall des berühmten „Abendmahl“ von Leonardo da Vinci im Kloster der Madonna delle Grazie zu Mailand zu erinnern, nur auf die „ Münchener Pinakothek und auf den gefährdeten Zustand der in ihrer Conception unsterblichen Wandgemälde Kaulbachs im Treppenhaus des Berliner Museums hinzuweisen, um die technischen Mängel und Fährnisse der Fresco-Malerei ausreichend darzuthun. Der Umstand, dass ein Teil der poinpejanischen Fresken uns erhalten geblieben, ist für die vorliegende Frage durchaus irrelevant. Sie haben in der absoluten Finsternis und der Trockenheit der sie bedeckenden Lava die lange Reihe der Jahrhunderte überdauern können, bis Hacke und Spaten sie dem staunenden Blicke der Gegenwart wieder zugänglich machten. Aber es ist bekannt, dass man bereits zu den Zeiten Raffaels den Resten antiker Wandmalerei mit grossem Eifer nachspürte und damals manches kostbare Stück zu Tage förderte. Doch das meiste davon ist, sobald es mit Luft und Licht in Berührung kam, wieder zu Grunde gegangen, so dass wir zur Beurteilung der damals entdeckten Schätze meist auf Skizzen und Nachbildungen angewiesen sind, deren mangelhafte und schematische Wiedergabe der Originale das Bedauern über den Verlust der letzteren nur steigern kann.
Die wegen ihrer Farbenfrische mit vollstem Rechte angestaunten altägyptischen Wandmalereien verdanken ebenfalls dem Umstande, dass sie durchweg in Grabkammern und anderen unterirdischen Gelassen angebracht sind, ihre nahezu unversehrte Erhaltung. Das höchste Streben der Erbauer des Aufenthaltes der Toten war in letzter Reihe darauf gerichtet, den Zugang zu demselben mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu erschweren, weil die religiöse Auffassung des Volkes das Weiterleben der Seele im Jenseits von dem Fortbestände der leiblichen Hülle oder wenigstens eines im Grabe aufbewahrten körperlichen Abbildes derselben abhängig machte. Der sonstige Schmuck der Totenwohnung diente nur dazu, dem Verstorbenen das Verweilen in seinem letzten Heim möglichst angenehm zu gestalten, indem man durch Darstellungen aus glücklichen Momenten des irdischen Daseins und durch Beigabe wertvoller Gegenstände, die dem Verblichenen einst teuer gewesen, die Erinnerungen der Seele wach zu erhalten sich bemühte. Dieser Auffassung verdankt die Gegenwart ihre Kenntnis von der umfassenden und vielgestaltigen uralten Kunst des Pharaonenlandes, und