Heft 
(1905) 14
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20. (8. ordentliche) Versammlung des XIII. Vereinsjalires.

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zu kämpfen hatten, um die Wissenschaft, die Kunst und die Religion erst wieder aus dem Ranne der dürftigen äußeren Zweckbestimmung zu erlösen, nur dem gemeinnützigen Wirken zu dienen. Sie erst haben erkannt, daß die Wissenschaft keinen andern Zweck habe als die Er­kenntnis der Wahrheit, die Kunst nur die Gestaltung des Schönen sich zum Ziele setzen könne, und die Religion nichts anderes sei, als das Auf­nehmen der Gottheit in den eigenen Willen ohne irdische Zwecke. Aus solcher Erkenntnis der Wissenschaft, der Kunst und der Religion wird gewißlich als Wirkung auch gemeinnütziges Wirken hervorgehen, aber man hebt ihre göttliche Freiheit und damit sie selber auf, wenn man sie an eine äußere Zweckbestimmung binden und fesseln will.

Aber wenn ich so von vornherein der irrigen Auffassung Vor­beugen möchte, als wenn ich die Aufklärung schon als eine Blütezeit des Geisteslebens und unsern Rochow als einen Klassiker der Pädagogik preisen wollte, so erachte ich die Aufklärung freilich als eine not­wendige Vorstufe für die größte Zeit unseres Volkes, für das sogenannte Humanitätszeitalter. Zeigt doch der Name Aufklärung selbst an, daß sie der Menschheit noch nicht das volle Licht gebracht, sondern es nur ankündigen, vorbereiten, herauffiihren wolle. Wie das mosaische Gesetz nur ein Zuchtmeister zu religiöser Freiheit gewesen ist, so war die einseitige, trockene Verstandesbildung der Aufklärer nur die Vorschule für die Aufnahme des Evangeliums von der Freiheit des Menschen auf allen Gebieten des Geistes, von der Humanität.

Aus dem Gesagten ergibt sich von selbst, daß die Aufklärung eine Verbesserung des Schulwesens anstreben mußte. Galt die Tugend als der Hauptzweck des Lebens und war ihre Ausübung abhängig von der Erkenntnis, so mußte folgerecht das Wissen von der Tugend vertieft und verbreitet werden. Man erkannte, daß einerseits die alten Schulen nicht genug auf die Gesinnung der Schüler eingewirkt und sie nicht genug für gemeinnütziges Wirken im Leben vorbereitet habe, und daß die große Masse des Volkes in den Winkelschulen und Landschulen, wenn auch der allgemeine Schulzwang eingeführt war, bisher nur eine durch­aus ungenügende Ausbildung erhalten habe.

Nun sollten die alten Schulen zwar auch dem Leben dienen. Sie waren meist Standes- und Berufsschulen für den Adel uud die künftigen Gelehrten und Beamten, die Schüler sollten zu weltgewandten Kavalieren und zu redegewandten Theologen und Juristen gebildet werden. Auch hatten die Pietisten unter Führung Speners und Franckes die Sclml- metlioden schon verbessert und durch Aufnahme der Realien die Schul­kenntnisse in nähere Beziehung zu dem Wissensbedürfnis der im praktischen Leben Stehenden gebracht; ja sie hatten sogar schon besondere Realschulen begründet, aber auch diese Schulen entsprachen den Zielen der Aufklärer nicht. Sie fühlten, daß das Schulwissen immer noch zu