Heft 
(1905) 14
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20. (8. ordentliche) Versammlung' des XIII. Vereinsjahres.

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wenig wie hier der Löwe die seinigen brauchen kann. Ach wenn doch eine Maus wäre, die einige Maschen dieses Netzes zernagte.

Und nun zeichnete ich, gleichfalls als Gedankenspiel, auch die Maus hin.

Wie ein Blitzstrahl fuhr mir der Gedanke durch die Seele: wie, wenn du diese Maus würdest.

Und mit dem festen Entschluß:Ja, ich will die Maus sein, Gott helfe mir, machte er sich sofort an die Arbeit, ein Schulbuch für Kinder der Landleute zu schreiben, d. h. zum Gebrauch der Lehrer:so wie man etwa die Amme kuriert, bemerkte er,um dem Kinde gedeihliche Nahrung zu verschaffen.

Gleich im voraus suchte er den etwaigen Einwand, wer ihn zum Lehrer des Landvolkes berufen habe, in wahrhaft großen Worten zurück­zuweisen :

Ich lebe unter Landleuten. Mich jammert des Volkes, neben den Mühseligkeiten ihres Staudes werden sie von der schweren Last ihrer Vorurteile gedrückt. Sie wissen weder das, was sie haben, gut zu nutzen, noch das, was sie nicht haben können, froh zu entbehren. Sie sind weder mit Gott noch mit der Obrigkeit zufrieden. Ihre Religion ist meist der verderblichste Fatalismus. Die ganze vortreffliche Sittenlehre Jesu Christi und seiner Apostel liegt ihnen ganz außerhalb der Sphäre der Ausübung. Sie wollen zur Not wohl durch Christum selig, aber nicht nach Christi Geboten vorher fromm werden. Die Ursache dieser sämtlichen den Staat in seinem wichtigsten Teile zerstörenden Übel liegt an der vernachlässigten Erziehung der ländlichen Jugend. Man bildet nicht ihre ganze Seele, man gewöhnt ihr Gewissen nicht, über die Urteile und iftre Handlungen zu richten. Sie sind und bleiben sinnlich, d. h. nicht viel mehr als tierisch, und fühllos für jede Art moralischer Glück­seligkeit.

So fand ich das Landvolk, und nun sah ich mich nach Hilfe um und wagte diesen Versuch.

Seit jenem Tage ist Rochow ein eifriger Schriftsteller geworden. In ungefähr hundert Aufsätzen und kleineren Büchern pädagogischen und ökonomischen Inhalts hat er rastlos gesucht, das Landvolk geistig zu heben. Unter ihnen ist das bedeutendste, sein Kinderfreund, das erste Lesebuch für Kinder der Volksschulen. In vielen Auflagen, Be­arbeitungen und Übersetzungen hat es weite Verbreitung gefunden und weit über die Grenzen unseres Vaterlandes hinaus zur Hebung des Volks­schulunterrichts nachhaltig beigetragen. Alle seine Schriften aber und das ist bedeutsam für die richtige Würdigung Rochows verfolgen nur praktische Zwecke. Er war kein Theoretiker, er hat nicht wie Pestalozzi die Erziehung zu systematisieren und zu mechanisieren gesucht, er hat nicht neue Methoden erfunden, er hat das eine große Verdienst, das