Heft 
(1905) 14
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20. (8. ordentliche) Versammlung des XIII. Vereinsjahres.

größte, vielfach empfundene Übel der Zeit, die Vernachlässigung der Volksbildung, scharf umgrenzt, grell beleuchtet und praktisch Hand an­gelegt zu haben, mit den besten vorhandenen Mitteln zunächst in seinen Grenzen und seinem Bereich das Übel zu heilen. Seine schriftstellerische Wirksamkeit ist keineswegs der Hauptinhalt seines Lebens, seine Be­deutung liegt in der Praxis, in der Verbesserung der Schulen auf seinen Gütern, besonders auf Reckahn.

Mit dem warmen Eifer aufrichtiger Begeisterung für die Sache ging er daran, nachdem er die Wurzel des Übels erkannt hatte, die Volksschule zu reformieren. Er hatte das Glück, auf seinen Gütern verständige Pfarrer zu haben. Mit diesen beriet er zunächst seine Pläne. Dann galt es, als im Herbst 1772 der Lehrer in Reckalm gestorben war, einen besseren Ersatzmann zu finden. Denn das war gerade der größte Mangel des damaligen Volksschulwesens, daß es an geeigneten, für ihren Beruf ausgebildeten Lehrern fehlte. Das Lehreramt versahen entweder invalide Soldaten oder in Nebenstellung die Dorf-Schneider, und die Mehrzahl aus beiden Kategorieen war selbst kaum fähig, fließend zu lesen und orthographisch zu schreiben. Rochow wählte einen jungen Mann, der ihm sechs Jahr als Schreiber gedient hatte und jetzt seit einem Jahre Organist und Schulhalter zu Halberstadt war. Heinrich Julius Bruns hatte im Verkehr mit Rochow manches gelernt, und der adlige Gutsherr und angesehene Domherr hielt sich nicht für zu hoch, seinen Lehrer nnn noch selbst für sein neues Amt einzuarbeiten. Monate lang hat er mit ihm täglich das Katechisieren geübt, wobei bald der eine, bald der andere Lehrer oder Kind vorstellte. Zugleich suchte er ihm aus seiner Begeisterung das eine zu übertragen, was er für die Kardinaltugend der Lehrer erachtete: wahre Missionargesinnung, und so gelangte in \flfenigen Jahren unter Rochows eigener beständiger Förderung und Anspornung die Schule zu Reckahn zu so großen Erfolgen, daß ihr Ruhm nach außen drang und Fürsten, Grafen, Minister, Kammerherren, hohe Militärbeamte, Geistliche und Schulmänner von nah und fern herzukamen, um anzuerkennen und zu ermutigen, zu prüfen, zu lernen und anderswo ähnliches nachzubilden. Viele wandten sich auch schriftlich an Rochow, der in eine weitverzweigte Korrespondenz geriet. Einige Jahre hindurch sandten Regierungen und Schulpatrone auch vielfach Lehrer nach Reckahn, die dort, da es an Seminaren für Landschullehrer fehlte, ihre pädagogische Ausbildung gewinnen sollten. Aber Rochow, der nicht für sich Ehre suchte, sondern immer nur die Sache im Auge hatte, erkannte, daß weder sein Lehrer auf die Dauer die Arbeit leisten könnte, neben seiner Schularbeit auch noch Lehrer auszubilden, noch eine Landschule mit einem Lehrer überhaupt geeignet sein könnte, als Lehrerseminar zu figurieren, und so betrieb er andauernd bei dem Minister von Zedlitz die Begründung eines eigenen Königlichen Schullehrer Seminars in