Heft 
(1905) 14
Seite
50
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so

Der Birnbaum in der Volkskunde.

Eine unserer bekanntesten Sagen läßt auch einen niedergeschlagenen (gewissermaßen enthaupteten) Birnbaum immer wieder neues Leben ge­winnen.Bei dem Untersberg (unweit Salzburg), in dem Karl d. Gr. schläft, befindet sich das Walserfeld, auf dem ein Birnbaum steht, der schon dreimal umgehauen wurde; die Wurzel trieb aber immer wieder, so daß stets ein neuer Baum entstand. Er ist nun seit langem dürr; wenn aber Kaiser Karls Bart dreimal um den Tisch gewachsen sein wird, dann wird dieser Birnbaum blühen, und Karl wird mit seinen Kriegern aus dem Berg kommen und seinen Schild an den Baum hängen. Dann entsteht auch eine furchtbare Schlacht. Zuletzt werden die Bösen von den Guten erschlagen. Im Jahre 1814 schlug der Baum wirklich aus; doch seine Blätter verdorrten bald wieder.)

Das Aufhängen des Schildes bedeutet die Besitzergreifung und Geltendmachung des Gerichtsstandes. Es existieren noch Gerichtsschilde aus dem Mittelalter. 2 )

Jene furchtbare Schlacht soll nach Meinung der einen mit der voll­ständigen Einigkeit Deutschlands, nach Meinung anderer mit dem Weit­ende und dem letzten Gericht Zusammenhängen. (Vgl. Perger.)

Wilhelm Waegner 3 ) sagt:Da man sich den Götterstaat gleich

einem menschlichen errichtet dachte, so erwuchs daraus der Begriff von dem Weltenbaume, an welchem die Himmlischen zu Gericht sitzen. Der Birnbaum im deutschen Märchen der Sommer und Winter trägt, ist aus dem Mythus entstanden.

Sie wollen mir gestatten, geehrte Anwesende, Chamissos Dichtung in Erinnerung zu bringen.

Es ward von unsern Vätern mit Treuen uns vermacht Die Sage, wie die Väter sie ihnen überbracht;

Wir werden unsern Kindern vererben sie aufs Neu,

Es wechseln die Geschlechter, die Sage bleibt sich treu.

Das Walserfeld bei Salzburg bezeichnet ist der Ort:

Dort steht ein alter Birnbaum, verstümmelt und verdorrt;

Das ist die rechte Sitte: der Birnbaum ist das Mal,

Geschlagen und gewürget wird dort zum letztenmal.

Und ist die Zeit gekommen, und ist das Maaß erst voll, - Ich sage gleich das Zeichen, woran mans merken soll

So wogt aus allen Enden der sündenhaften Welt Der Krieg mit seinen Schrecken heran zum Walserfeld.

) A. Ritter von Perger, 2721

) Ernst Koch, Die Sage vom Kaiser Friedrich im Kyffhäuser. (1886). 16.

>) Wilhelm Waegner, Unsere Vorzeit. Nordisch-germanische Götter und Helden. 3. Aufl. I, 51.