Heft 
(1905) 14
Seite
56
Einzelbild herunterladen

56

Der Birnbaum in der Volkskunde.

denen es durchzogen wird. Wahrlich, wir könnten auf den Birnbaum (zumal den wilden) neidisch werden.

Obgleich wir in der Mehrzahl schon lange aus der Schule heraus sind, will ich doch noch den naturgeschichtlichen Eigenschaften ein paar Worte mehr widmen.Der Fruchtknoten wird zumKornhause (dessen 5 Fächer je 2 braune Samen enthalten) und der Blütenboden zum Fruchtfleische. Am oberen Ende der Frucht finden wir daher selbst noch zur Reifezeit den vertrockneten Kelch. Da an der Bildung der Frucht also noch ein anderer Blütenteil als der Fruchtknoten be­teiligt ist, bezeichnet man sie alsScheinfrucht. Solange die Samen noch unreif sind, schützen saure, zusammenziehende Säfte die unschein­bar grünen Früchte, vorzeitig verspeist zu werden. (Schmeil.) Wie wenig das ein Abwehrmittel gegen die liebe Dorfjugend ist, wissen wir.

Doch zu Herrn Dr. Carl Bolle. Er ist der Meinung, daß wir nicht von Germanen, sondern von Slaven sprechen sollten, wo es sich um die Verehrung des wilden Birnbaums handelt. Die Verehrung werde daher gekommen sein, weil der Birnbaum keineswegs ein eigentlicher Waldbaum sei, sondern immer gern allein auf natürlichen oder von Menschen geschaffenen Lichtungen gestanden habe, sich so den mensch­lichen Ansiedlungen gewissermaßen nähernd. Und woher er stamme? Der große Botaniker Koch glaubt nicht an hiesige ursprüngliche Heimats­berechtigung, was aber nicht viel sagen wolle: denn Koch habe so ziemlich allen unseren nützlichen Bäumen solch Recht abgesprochen. Zu den aus dem Süden stammenden Vätern unserer jetzigen Tafelbirnen gehöre auch Pirus amygdaliformis. Wie sehr der Birnbaum dazu neige, ein Kosmopolit zu sein (weit mehr als der Apfelbaum), bezeuge sein Vor­kommen im Süden, z. B. in der heißen Küstenzone der Canarischen Inseln.

Von anderer Seite wurdeals Argument gegen das Indigenat der Birne auf das Fehlen dieses Obstes in Pfahlbauten liiugewiesen; natür­lich sei abersolche Negative niemals ein schlüssiger Beweis. 1 )

') Die leider erst nachträglich von Herrn Eduard Krause, Kustos am Kgl. Museum für Völkerkunde in Berlin, eingeholte Auskunft lautete:Keller, Pfahl­bauten VI, S. 310 mit Abb. Fundorte Wangen und Robenhausen. Ferner schrieb mir Herr Dr. Schulze-Veltrup:Hehn, Kulturpfl. und Haustiere. 6. Aufl. (Berlin 1894; herausgeg. v. bchrader) bringt S. 595 folgendes: Auf das Indigenat des Baumes nicht nur im südlichen Europa weist auch der Umstand hin, daß in den Schweizer Pfahlbauten neben Äpfeln wilde Birnen gefunden werden. Somit ist doch be­rechtigt, was wir inAuch Einer von Friedrich Theod. Vischer, 2. Aufl. (1879) lesen; nämlich die Pfahlbau-Gemeinde im See Robanus (zu der die Barden Feridun Kallar und Guffrud Kullur als Ehrengäste gekommen sind) hat zum Festmahl auf dem langen Speiszettel nicht nur alles Erdenkliche und Unmögliche, - wie z. B. Leber­knödeln, Kibitzeneier, Murmeltier, gesülzte Spansau, gebeizten Wisent-Schwanz, Rinitur- leckerli, Mohnkrapfen, Mausschlegel, Eidechsenschwänze und Metlibock sondern auch zu wiederholten Malen Birnen, alsVoressen und alsNachtisch. Auch Obstwein ist vertreten.