Heft 
(1905) 14
Seite
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Der Birnbaum in der Volkskunde.

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Auch in seinem BucheFreiwillige Baum- und Strauchvegetation der Provinz Brandenburg (48 f.) hat Herr Dr. Bolle ausgiebig über denBeerbom wie das Volk den Birnbaum nennt berichtet. In bezug auf das zu beklagende Schwinden der stattlichen wilden Birn­bäume sagt er:Die Separation mußte sicher die erste Veranlassung geben, weil vorher viele dieser Bäume Gemeingut') gewesen sein mögen. Vollendet wurde das Werk der Zerstörung durch das gänzliche Verloren­gehen jener scheuen und stummen Ehrfurcht, die als unbewußter Rest des heidnischen Baumkultus dem Landvolke innegew T ohnt hat. Die [wilden Birnbäume] haben früher wohl nirgends ganz gefehlt, selbst nicht in der Sumpfwildnis des Spreewaldes; man hieß sie Buschobst. Sehr bezeichnend für sie ist auch ein Name, den man bei Rheinsberg noch hören kann: die Grenzstöcke. Der östliche Teil der Mittelmark, die Distrikte Barnim und - Lebus, und in diesen wieder die Umgebung von Straußberg, Werneuchen, Müncheberg und Wriezen waren ehemals besonders reich an Birnbäumen. [In Werneuchen steht noch der bekannte ßOOjährige Baum.] Wir sahen sie vor noch nicht langer Zeit bei Peters­hagen. Jenseits der Oder mögen sie noch Vorkommen; dort bewahrt bis auf den heutigen Tag der Sternberger Kreis den Namen des Knödel­landes [auch Knödelländchens]. Es fehlte auch uns bei den Dörfern nftfllt an alten Birnbäumen der Ureasse, selbst nicht in der nächsten Nachbarschaft Berlins. Z. B. Heiligensee stand voll von solchen. Da war fast auf jedem Ilofe einer, gewöhnlich dicht neben dem Reisig- und Holzhaufen. Er schien da zu sein, damit vielfaches Acker- und Haus­gerät an ihm eine Stütze fände. Man erinnert sich noch eines Baumes, der bis vor etwa 20 Jahren lebte: zwei starke Männer konnten ihn kaum uinklaftern. Der Ertrag an Knödeln berechnete sich natürlich auf viele Scheffel von jedem Baum. Maff buk sie und kochte solches Backobst. Jetzt steht in genanntem Dorfe kein einziger Kuödelbauin mehr; Bauten und anderweitige Veränderungen in der Wirtschaft'haben alle weggeschafft; es hat sich kein Hauswirt gefunden, der auch nur einen erhalten hätte. Nachkommenschaft haben die früheren Bäume auch nicht hinterlassen. Sie auf der dortigen Feldmark gesehen zu haben, wie sie weiter ostwärts an den Scheidfahren der Äcker wuchsen, erinnert sich niemand mehr. Gleicher Art, vielleicht noch mächtiger

') In Oschekau, Kr. Neidenburg Ostpr., stand (außer vielen anderen wilden Birn­bäumen) ein besonders großer und sehr schön gewachsener Baum auf der Grenze der Gärten, die zum Rittergut und zu einem Bauernhof gehörten. Wenn die Erntezeit da war und die Früchte abgeschüttelt wurden, gehörte jedem der Besitzer alles, was auf sein Land fiel. Eine ansehnliche Steinmauer half dafür sorgen, daß nicht Ungerechtig­keiten Vorkommen konnten. Dieser Baum war der höchstgewachsene und malerisch ansprechendste wilde Birnbaum, den ich je gesehen habe; und nun erst seine Pracht im Frühling I Ein böses Wetter machte ihm leider ein unerwartetes Ende.