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Der Birnbaum in der Volkskunde.
Nach anderer (ebenfalls von Herrn 0. M. mitgeteilten) Fassung heißt es: die Leute sagten allgemein, der alte Herr habe noch, als er begraben wurde, eine Birne in der Rocktasche gehabt, und ein Kern davon habe so wunderbar Wurzel getrieben, damit es der Dorfjugend nach seinem Tode nicht an Birnen fehle. (Ribbeck liegt an der Berlin Hamburger Chaussee, etwa 8—9 km westlich von Nauen. — Schwartz bringt die Bezeichnung „ Knödelbaum “; Herrn 0. M. von Ribbeck her nicht bekannt, dagegen aus dem'Kreise Oberbarnim und Sternberg. Die Birnen werden in Ribbeck nicht gegessen.) — Ferner ward ich auf eine andere märkische Sage aufmerksam gemacht, nämlich auf die vom kleinen Uchtenhagen in Freienwalde a. d. 0.: der kleine Knabe soll an einer vergifteten Birne gestorben sein, die sein neidischer Vetter ihm in die Hand gespielt hatte.
fln der Lausitz nennt man die Früchte des wilden Birnbaums auch Kodde, in Luckau Kolleg, bei Schönermark im Ruppinschen Biddeln. (Bolle.)\ Im Riesengebirge und in der Grafschaft Glatz spricht man von Feldbirnen, in der Namslauer Gegend vom Niintkenbaum. (E. Küster, Breslau.) Die dortigen Knaben „klauben“ die abgefallenen Nuntken, d. h. sie lesen sie auf; aber ratsam bleibt es, die geklaubten erst „teege“ (weich) werden zu lassen, ehe man sie verspeist.
Diesen Rat würde man den Dorfknaben meiner Heimatprovinz Ostpreußen vergeblich anbieten. Sie bemächtigen sich der Kruschken oder Steinkruschken 1 ) vor der Zeit, und die Ernte bedeutet für den Baum eine arge Mißhandlung. — Auch wir dort haben immer noch stattliche wilde Birnbäume auf den Feldern, an den Grenzrainen und an der Dorfstraße. Aber leider ist eine Abnahme gleichfalls in Ostpreußen an der Tagesordnung. Auf dem Gute Bälden, Kr. Neidenburg, sollen noch bis vor kurzem etwa 50 Stück gewesen sein. Dort müssen die Früchte „ulligauki“ werden. (Die richtige polnische Bezeichnung wäre wohl mi^kki, weich.) Doch sie schmecken, wie mein Berichterstatter sagte, im allgemeinen „sauer bis bitter“.
Nun aber möchte es wohl an der Zeit sein, auch der edlen, d. h. kultivierten Birnen zu gedenken. Da müssen wir einen weiten Weg
‘) Ostpr. Oberland (Kr. Mohrungen usw.): Kruschk, die wilde Birne. Man läßt die Früchte etwa eine Woche ausgebreitet liegen, bevor man sie zum Kochen nimmt. „Wenn die Kruschken molsch (mürbe oder gewissermaßen faul) geworden sind, geben sie ein sehr strammes Essen.“ — Kr. Heiligenbeil: Kruschken und Steinkruschken. „Die sind ja hart wie Steine; aber nachher kochen sie einige, und manche essen sie auch roh. Kinder backen sie im Ofen.“ — „Die Steinkruschken- Bäume stehen so auf den Feldern hier und da. Die Birnen müssen lange auf Stroh liegen. Man ißt sie nachher gekocht, auch roh.“ - Umgegend von Königsberg: „Die Steinkruschken müssen ein paar Wochen in Heu gewühlt liegen bleiben; dann schmecken sie sehr gut. Kr, Insterburg: „Kruschkenbäurue stehen hei uns noch vielfach auf den Grenzen.“