Heft 
(1905) 14
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100 Der Grabfund von Seddin als Schlüssel zum Verständnis der Sprache Europas.

bunden. Dem animistischen Athenienser galt sie als eiuDaimonion. Katholische Philosophie bezeichnet sie als dieSeele und nennt sie eine dnrch und für sich seiende geistige Substanz eineforma subsistens. Biologen neuerer Schule halten sie für eineinfaches Element. Ich überlasse Ihnen die Metaphysik zu eigener Meinungsbildung. Mir diente diese Beobachtung dazu, einen Heilungsprozeß meines Gehirns praktisch durch wissenschaftliche Tätigkeit zu beschleunigen, mich von sogenannten praktischen Ärzten zu befreien und einen neuen Weg in die Wissen­schaft zu suchen. Exakte Untersuchungen über Rnctus und Singultus, über die Wirkung der Geräusche bei der Bearbeitung von Feuersteinen machten den Beginn und dabei konnte ich so wenig wie bei diplo­matischen und historischen Arbeiten damals keine Metaphysik brauchen.

Von wem lernte der Mensch sprechen?

Jedes Kind kommt ohne Sprache auf die Welt, und zwar, wie sehr mit Recht von Flechsig betont wird, mit einem unfertigen Gehirn, wenn man es auch mit Unrecht alsspinales Wesen bezeichnet hat. Dies legt den Gedanken nahe, die Urväter der Menschheit hätten auch einmal angefangenSprache zu lernen, wie man z. B. noch heute Musik lernt. Der Gedanke tritt uns um so näher, als wir finden, daß bei den sog. Naturvölkern wie z. B. K. v. d. Steinens Bakairi-Indianern, der Intellekt trotz großer Sinnesschärfe so niedrig steht, daß er nicht einmal eine Hypothese geschweige denn eine wirkliche Vergleichung erfassen kann. Diese gutartigen Waldbewohner aber stehen in ihrer Kultur sehr hoch über dem Ureuropäer, dessen primitive Feuerstein­geräte der Bakairi mit Staunen über deren Unvollkommenheit betrachtet haben würde.

Da bleibt uns nichts anderes übrig als anzunehmen, daß der Mensch zunächst sein eigener Lehrmeister gewesen sein muß. Spracherreger ist die große Zahl der inneren Körpergeräusche ohne Zweifel gewesen, noch ehe die Hand ein Werkzeug ergriff. Spracherreger waren alle hörbaren Laute und Geräusche, welche die Lebensnotwendigkeit des Atmens, Essens, Trinkens u. s. w. hervorbrachte, denn alle diese mußten sich mit absoluter Notwendigkeit mit mindestens den zwei Perceptiven der des Ohres und der des Gefühles assoziieren. Dazu kommt alles im weitesten Sinne, was mit dem mammalischen Leben zusammenhängt. Wer nun scharfen Ohres die Rudimente dessen verfolgt was unsere Kultur von diesen Naturlauten und Geräuschen übrig gelassen hat, findet den gesamten Lautschatz unserer Sprache überreichlich gedeckt. Da hapert es freilich meistens bei den Herrn Forschern. Seit 18681895 habe ich jeden Menschen, mit dem ich mich etwas länger unterhielt auf sein SpracbgehÖr untersucht keine zehn Prozent besitzt ausreichendes