Der Grabfund von Seddin als Schlüssel zum Verständnis der Sprache Europas. 109
Jede körperliche Empfindung, also auch jedes Ideophon, kann durch Ausdehnung in ihr totales Gegenteil verkehrt werden. Jede Lust- empfinduug wird durcli übermäßige Ausdehnung in Schmerz verkehrt. Das kurz empfundene Elementarwort verkehrt sich durch übermässige Anhaltung der Spannung im Gehirn bis in sein Gegenteil. Dazwischen liegt eine weite Skala von Begriffsuuancen.
liier haben Sie den Inhalt eines physiologischen und logischen Sinnlautgesetzes, das sich in allen mir bekannten und auch in mir nicht genau bekannten Sprachen geltend macht.
Die Sprechmanier muß wohl oder übel der Leitung im Gehirn folgen: sie hat kein anderes Mittel als die Dehnung des Vokals.
Hierauf beruht alles das, was man über Sinn und Gegensinn (namentlich im Ägyptischen) geschrieben hat.
Ob nun aber das Antideophon wirklich der Gegensinn des Ideophons ist, darüber entscheidet die Logik, da es sich eben nur um Gehirnfunktionen handelt — nicht allein die Länge des Vokals. Nehme ich das Elementarwort Er = Mensch speziell Mann, so kann das gedehnte er einen großen Mann bedeuten, eventuell einen toten Mann, ebenso gut aber auch ein Weib wie z. B. im deutschen „Hausehre.“
Ich lege Ihnen hier also von vorneherein die Vermutung nahe, daß „ed“ eine Bedeutung haben muß die mit dem Begriffe „Leben“ zu- sammeuhängt. Dabei will icli gleich vorausschicken, daß dieses letztere Wort erst durch einen Bedeutungswandel zu seinem Begriffsinhalt gekommen ist, auf den ich hier nicht eingehen will.
Ein Abstraktum wie Leben kann nichts ursprüngliches sein, denn die BegriffsbilduDg beginnt mit Konkretem. Dem Elementarwort ed muß also eine konkrete durch die Sinne perceptible Äußerung sein, die dem Wortbildner die Überzeugung beibringt: der Äußernde lebe.
Ich wiederhole hier noch einmal, daß die Klangfarbe des Vokals wie die Sprechmanier des Konsonanten d, dh, t, th, völlig gleichgültig ist, denn hier kommt bei der begriffbildenden Lebensäußerung der Mensch in allen Altersstadien als Lautbildner in Betracht, ja nach einer für mich sehr ernsten Erfahrung schon ein halbgeborenes Menschenwesen, dessen Köpfchen in meiner helfenden Hand ruhte. In einem Momente, wo sich die Gefahr, meine Energie und Sinnesschärfe zum äußersten anspannte, hörte ich den ersten Laut mit unvergeßlicher Deutlichkeit.
Kein Kind schreit kein kleines „ä“ oder „uä“ zuerst, wie uns unterhaltsame Kinderpsychologien weis machen w r ollen, sondern es atmet zuerst.
Die ersten Atemzüge, die dem Hörer sagen: das Kind ist nicht tot geboren, sondern es lebt, die bilden deutlich ein schwaches at, et, it.
Das ist nicht nur die erste, sondern auch die primitivste Lebensäußerung des Menschen. All meine Erfahrung aber lehrt mich, daß die