Heft 
(1905) 14
Seite
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126 Der Grabfund von Seddin als Schlüssel zum Verständnis der Sprache Europas.

Aus diesem Grunde ist es für Ruktus-Ideophone gleichgültig, ob sie mit R oder L beginnen. Jedenfalls kommen wir bei dem Ruktus zuerst unmittelbar auf die Empfindung des Unruhigen. Da die Benennung in logischer FolgeRuhe-nicht sagt, so liegt der Schluß nahe, daß jenes fragliche Etwas etlichen Sinnesleitungen den Eindruck der Ruhe gemacht habe, während es doch in Wirklichkeit nicht in Ruhe gewesen ist. Damit kommen wir direkt auf den Gegenstand der Frage.

Der angebliche Egil Skalagrimson möchte in der Klage um seinen ertrunkenen Sohn die Töchter der Ran mit Schwerthieben traktieren: es sind die Wellen des Meeres. Auf die Flut paßt diesRuhe nicht sehr gut, denn es zeigt das Trügerische der stillscheinenden See, die auch bei voller Ruhe an den Felsen Islands brandet. Die deutschen Ran-en wären demnach einfach die See-männer (wie die Rugier die Rojer oder Ruderer sind) und Räuber erst in zweiter Linie.

Setzen wir mit R und L die Formen zusammen, so haben wir in Rahn, Rhen, Rhein, Rin, Rühn, Rim, Rön, Rhon*) wie in Lahn, Lun, Lin, Leine, Lohn lauter allbekannte Flußbezeichnungen. Hierbei habe ich ligurisch und etruskisch auch schon einbezogen denn alles ist ja nur eine einzige Sprache in verschiedenen Kulturentwicklungen.

Der Wortinhalt ist eines der großen Welträtsel, das zu bewäl­tigen das frühe Menschendenken mit unendlicher Mühe in Europa ver­suchte: es ist einfach Wasser. Damit löste sich das bisher unverstandene Wunder, daß ein Fluß mit den verschiedenen Anwohnern, wie der lange Rheinstrom von der Q,uelle bis zur Mündung einen einzigen Namen hatte, wo doch niemand den Lauf Namenverleihend verfolgt haben konnte. Damit das Wunder, daß Bäche und Flüsse in Frankreich, England, Irland, Schottland ebenso heißen konnten, wie in Mecklenburg und Brandenburg. Dunkles Wasser war dem Ligurer und Kelten ein Doub, dein Westfalen eine Dubbe, dem Brandenburger und Mecklen­burger eine Dobbe: Dublin, Dufferin, Dobberan. Lun und Lon findet sich in dem englischen London = Lundinium und dem etruskischen Ilafenplatz Luna.

Ja, wir können hier, was sonst in Italien wie Hellas recht schwer ist, einen Blick in die alte von Asiens Kultur und von Afrika noch unbeeinflußte Vorstellungswelt werfen. Dem Po-italiker, der später zum Lät-in ward, war der Mond: Luna nurWasser (den Leuten am Xingü ist die Sonne ein Bündel gelber Federn) wie dem Hellen sein Himmel ür-(-än-ös einfachWassermann.

Bränd ist alsohoch-Wasser-zu Ende d. li. ein hohes Ufer am Wasser. Daher hat auch der hoheBrand bei Misdroy seinen

*) Rhone ist nicht Kontraktion aus gr. Rodanos, sondern der alte ligurische Namen.