Vom Handwerksbrauch der Leinenweber.
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Degen an der Seite des Wandergesellen oder das lange Messer im Gürtel kein bloßer Zierrat. Auch in Feld und Dorf gabs häufig Handgemenge, wenn der Bauer dem frommen Wandergesellen den Griff nach Obst und Feldfrucht mit schwerer Faust und wuchtigen Hieben wehrte.
Kam der Geselle am Stadttor an, so hatte er sich beim Torschreiber ganz submissest zu melden. Der fragte ihn nach Name, Herkunft, Handwerk, Kundsch aft*), nach Neuigkeiten und Erlebnissen, gab an, wo die Herberge zu finden sei und als Erkennungszeichen, als Zeichen auch dafür, daß er alles in Ordnung gefunden, übergab er ihm einen vom Altgesellen anvertrauten Gegenstand: Schlüssel, Stecken, Handwerkszeug oder dergl., den der Wandergesell dann in der Herberge vorzeigen und dem Herbergsvater, meist einem Meister der Zunft, vorzu- zeigen und zu übergeben hatte. Auch das hatte unter bestimmten Gebräuchen zu geschehen, nach Ansprache in vorher gelernter hergebrachter Weise, woran nicht geändert wurde. So streng wurde au den hergebrachten, altüberlieferten Wandergebräuchen festgehalten, daß dem Gesellen, der einen Fehler machte, wohl aufgegeben wurde, zurückzuwandern, um Versäumtes nachzuholen, sich einen Spruch richtig einzuprägen, den er ungenau aufgesagt hatte, Arbeitszeit nachzuholen, wenn er zu kurze Zeit im letzten Aufenthalt in Arbeit gestanden, ein Stadtwahrzeichen sich genauer anzusehen, wenn er es nicht ganz richtig beschrieben hatte und dergl. mehr.
War alles zur Zufriedenheit verlaufen, hatte der Ilerbergswirt: der Herr Vater, seine Ehehälfte: die Frau Mutter, ihren schuldigen Gruß und die Ansprache erhalten, hatte der Altgeselle bei der Umfrage Arbeit für den Zugewanderten gefunden, war er dann aus der Herberge in seines Meisters Ilaus gezogen, so nahm er mit den übrigen Gesellen an der nächsten Morgensprache, der Versammlung der Gesellen-Brüder- schaft, teil.
Da wurde ihm dann das Geschenk**) vorgetragen, wieder nach altem, unabänderlichem Brauch, bei reich bemessenem Umtrunk.
Die Leinenweberzunft zu Treuenbrietzen gehört zu den älteren Gilden der Mark. Ihre Ware war weit und breit bekannt und geschätzt; die alten Bräuche haben sich in ihr bis in die Jetztzeit erhalten, trotz kaiserlicher Edikte, königlicher Verordnungen, Domänenkammer- Reskripten und vieler Strafandrohungen gegen die Übung der Hand-
*) Kundschaft heißt Auskunft, Zeugnis; wir würden in modernem Deutsch sagen: Legitimation.
**) Das Wort „Geschenk“ hat nach Handwerksbrauch, wie aus dem Vorangegangenen zu entnehmen, verschiedenen Sinn; es bedeutet ebensowohl das Geldgeschenk an den Wandergesellen wie auch seine Ehrung als Gastbruder und die ihm und der Bruderschaft vorgetragene Dichtung.