Aus Treuenbrietzen.
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Aus Treuenbrietzen.
Erinnerungen aus dem 18. Jahrhundert. Von G. Steinhardt.
Auf der Suche nach alten Innungsschriften erhielt ich von dem Obermeister der Treubrietzener Leinenweberinnung ein Musterbuch vorgelegt, das sich in der Familie des Obermeisters Bramme fortgeerbt hat. Um das Jahr 1750 angelegt und bis 1772 fortgesetzt, enthält es die selbstgezeichneten Muster für die Handweberei nach Art des bekannten Johann Sibtnacherschen „Stick- und Spitzen-Musterbuchs von 1604*), daneben aber auch handschriftliche Aufzeichnungen aus der Zeit um 1750. Zwischen den Notizen über die Zahl der zur Herstellung der Muster auf dem Webstuhl einzuziehenden Fäden stehen Sprüche, Betrachtungen und Verse, deren Auswahl einen Einblick in die Seele des Handwerksmeisters gewährt und den Gang der Gedanken erweist, denen er bei seiner beschaulichen Arbeit gern nachhängen mochte, wie denn das Leinenweberhandwerk überhaupt als ein besonders „frommes“ angesehen wurde. (Vergl. Dr. W. Stahl, das deutsche Handwerk.) Bemerkenswert unter jenen Aufzeichnungen ist das folgende, in seiner Kraft und einfachen Schönheit wirkungsvolle Kirchenlied, das wenig bekannt ist und wegen dessen Ursprung und Verbreitung ich mich auf Anraten des Herrn Pastor Trinius in Belzig an Herrn Superintendent Nelle in Hamm, Westpli., den bekannten Erforscher des Kirchenliedes nach Text und Musik wandte. Hier folgt zunächst das Lied:
V. 1.
Sagt, waß hilft alle Welt mit allem Gut und Geld.
Alles verschwindt, geschwind, gleich wie der Rauch im Wind.
V. 2.
Was hilft der hohe Thron, waß Scepter und die Krön
Scepter und Regiment hat Alleß bald ein End.
V. 3.
Waß hilft sein hübsch und fein, schön wie die Engel sein,
Schönheit vergeht im Grab, die Rosen fallen ab.
V. 4.
Was hilft Goldgelbes Haar, Augen crystallenklar,
Lefzen korallenroth, Alleß vergeht im Tod.
V. 5.
Waß ist das Güldenstück von Goldzierd und Geschmück
Gold ist nur rothe Erd.**) Die Erd ist nicht viel werth.
*) Berlin, Verlag von Ernst Wasmuth, Werderstraße 6, 1881.
**) „Rothe Erd“ wahrscheinlich ist Zinnober, Schwefelquecksilber gemeint, das von den Alchimisten bei ihren Versuchen gern verwendet wurde.