Heft 
(1905) 14
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0. (2. ordentliche) Versammlung des XIV. Vereinsjahres.

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die Führerin des weimarischen Kunstlebens gewesen bis zu Goethes italienischer Reise. Die Frauengestalten, die Goethes Muse in dieser Zeit schuf, hat sie zuerst dargestellt, die eigentliche Kunstbühne hat sie aber nie betreten. Das ganze Knnstleben Weimars in jener Zeit ist nicht denkbar ohne sie, nicht so denkbar. Nur sie konnte im Aufzug der weiblichen Tugenden, die Bescheidenheit verkörpernd, vor die Herzogin treten und ihr Band und Kranz überreichen, ln der dramatischen Kunst gicbt es Gipfel, an die der Dilettantismus nicht heranreicht. DieIphigenie hätte keine andere, als eine große Künstlerin, so zu spielen vermocht. Wir können wohl der Meinung sein, daß es für Goethes Entwicklung- nachteilig war, daß er an einem Orte lebte, an dem kein Theater war; daß dieses in seinen Werken nicht so ganz in die Erscheinung tritt, das verdanken wir vor allem dieser Künstlerin. Sie allein war damals würdig und fähig, die Iphigenie zu verkörpern. Es ist jetzt über ein Dutzend Jahre her, als in dem lieblichen Tiefurt die Fischerin aufgeführt wurde; es war alles so wie in der berühmten Aufführung von 1782 und doch nicht genau so. Corona Schröter fehlte, denn sie war nicht bloß die Darstellerin, sie war die Mitwirkende Goethes. Sie sang damals ihre eigene Komposition desErlkönig, und ebenso hatte sie zu den anderen Liedern die Musik komponiert. Mit einem solchen Erfolge wuchs ihr auch der Mut, doch ist es geradezu rührend, mit welcher Schüchternheit sie ihre Kompositionen, u. a. die desErlkönig, veröffentlichte. Der Redner schilderte dann, wie nach dem Aufhören des herzoglichen Lieb­habertheaters in Weimar der Verkehr Coronas mit Goethe mehr und mehr nahließ. Der Verkehr mit Frau von Stein nahm ihn ganz in Anspruch, bis mit der italienischen Reise auch dieses Band sich löste. Corona ist auch Schiller nahe getreten. Schiller wußte, daß sein Freund Körner einst um sie geworben hatte; er war begierig, sie kennen zu lernen. Er preist wie natürlich sie sei; er hat sie vortragen hören und schreibt: sie las gut, sehr gut. Kurz schilderte E. Schmidt die späteren Lebensjahre Corona Schröters. Vieles veränderte sich. Nicht bloß Goethe war nach Italien gegangen, auch die Herzogin Amalie reiste später dorthin. Corona zog sich mehr und mehr zurück. In Ilmenau, wo sie ihre letzten Lebensjahre in leidendem Zustande verbrachte, war es ja sehr schön, aber der Winter ist sehr lang und rauh, und mit der treuen Gefährtin Wilhelmine Probst hat sie sicherlich manche bittere Stunde gehabt. Einsam ist sie dann gestorben. Von der damaligen Hofgesellschaft folgte nur einer ihrem Sarge, Knebel, der bei der Iphi­genie-Aufführung den König Thoas gespielt hatte. DasLebt wohl, das er damals seiner Rolle gemäß zu ihr sagte, rief er ihr jetzt in die Gruft nach. Die Bitternisse, die Corona Schröter in ihren letzten Jahren ausznkosten hatte, werden wenigen erspart. Es ist schwer, für die Schöne, nicht zu altern, für die Künstlerin ihre Stimme zu behalten.