Heft 
(1905) 14
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7. (5. außerordentliche) Versammlung des XIV. Vereinsjahres.

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reren Jahren ein stilles Haus, dessen Bewohner, hauptsächlich Knaben und Mädchen in ihrer dunklen, gleichmäßigen Tracht zur Physiognomie der Straße für längere Zeit einen markanten Zug lieferten. Hier war nämlich von April 1853 bis April 1897 das ganz aus Privatmitteln zu einer segensreichen Wirksamkeit erwachsene Baruch Auerbachsche Waisenhaus für jüdische Knaben und Mädchen nntergebracht. Die Anstalt befindet sich jetzt in stattlicheren Räumen mit schönen Höfen und Gärten in der Schönhauser Allee 162.

Auf der Südseite unserer Straße, Nr. 71/72, steht ein Gebäude, das seit einigen Jahren von der Post benutzt wird. Es fällt durch seine ruhige, vornehme Fassade mit zwei antikisierenden Köpfen als Schluß­steinen auf, eine Fassade, die den architektonischen Geschmack des Schlusses des 18. Jahrhunderts erkennen läßt. Es war bis zum Jahr 1898 der Sitz der großen Landesloge, die i. J. 1791 hier ihr Heim auf­schlug, nachdem das Haus einen Umbau erfahren hatte.

Nicht weit ab davon auf derselben Seite stand bis vor wenigen Jahren das Haus es trug die Nummer 67 das Alexander v. Humboldt vom Juni 1842 bis zu seinem Tode am 5. Mai 1859 bewohnte. Ihm hatte es sein Freund, der Bankier Mendelssohn, ein­geräumt. Als er hierher übergesiedelt war, schrieb er scherzhaft von den Greueln des Umziehens in ein abgeschmacktes Quartier des sibi­rischen Stadtviertels. Hier empfing der gewissermaßen offizielle Vertreter der Berliner Wissenschaft in der Mitte des vorigen Jahrhunderts so manchen vornehmen Gast. Hier erschien Friedrich Wilhelm IV oft zum Besuche seines Freundes und wissenschaftlichen Ratgebers.

Damals waren die Tage des Glanzes der Oranienburger Straße. Sie scheinen vorüber zu sein, aber wer will sagen, für immer? Die Straße gehörte einst zu den vornehmen der Residenz. Das lehrt ihre Geschichte, das lehren noch einzelne Häuser aus dem 18. Jahrhundert, die sich erhalten haben, wie beispielsweise gleich das Nachbargebäude Nr. 19. Noch in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahr­hunderts wurde sie von begüterteren und steuerkräftigeren Einwohnern bevorzugt. Der allmähliche Übergang des alten und älteren Berlin in eine Geschäftscity und der unheimliche Zug nach dem Westen, die beide in einer für den Geschichtsfreund betrübenden Weise die Physiognomie unserer Stadt so rasch und radikal veränderten, haben auch diesen Wandel bewirkt.