Heft 
(1905) 14
Seite
450
Einzelbild herunterladen

450

11. (3. ordentliche) Versammlung des XIV. Vereins]ahres.

Wertheimbau, Leipzigerstraße von Prof. Messel, Bauten von Otto Rieth, W. Walter u. a. m.

Eine neue Gestaltung des Pfeilerbaues zeigen auch unsere Hoch­bahnen und ihre Bahnhöfe. Hier bringt z. B. der Bahnhof Biilowstraße von Bruno Möhring ganz neue, dekorativ geradezu ideale Lösungen für die logischen Funktionen der Pfeiler und der gestützten Lasten.

Während hier der neue Stil restlose Anerkennung verdient, schwankt das Urteil in betreff des neuen Berliner Wohnhausbaues.

Seine Geschichte in neuerer Zeit ist in kurzem folgende: Bis in die 70 er Jahre herrschte hier eine ruhige Hochrenaissance vor. Die Schin­kelschule,^Lucae, Persius u. a. haben vorher geradezu klassich schöne Straßenbilder von großer Einheitlichkeit geschaffen, es sei an die Belle­vue- und Tiergartenstraße in ihrem früheren Zustande erinnert. Mit der rapiden Entwicklung zur Weltstadt reißt dann, vielleicht in der irrigen Voraussetzung, daß die neuemporwachsenden, mächtigen Straßen­züge stärkere Akzente des Einzelbaues verlangen, ein geradezu entsetz­licher, öder Prunkstil ein. Die Fassaden werden mit angeklebten, fabrik­mäßigen Gipsornamenten, Säulen und Karyatiden geradezu überlastet, wie viele Bauten am Kurfürstendamm und seiner Umgegend dem ästhe­tisch empfindenden Beschauer in schauderhafter Weise zeigen. Die Rücksicht auf die Nachbarhäuser erscheint in diesen Architekturen völlig beiseite geschoben.

Die Opposition gegen diesen trostlosen Protzenstil, die in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts einsetzt, ist eine durchaus gesunde. Es ist hier nicht der Platz, der Bewegung Schritt für Schritt zu folgen, auch nicht die Absicht, zu verschleiern, daß sie da und dort über die Stränge gehauen, sich durch lächerliche Über­schreitungen des architektonisch Erlaubten kompromittiert hat. Es sei vielmehr mit Nachdruck auf die gerechten Forderungen, auf die wahr­haft künstlerischen Neugestaltungen hingewiesen, die der neue Stil, auch im Wohnhausbau, uns gebracht hat, aus denen, wie ich hoffen möchte, ein einheitlicher und außerordentlich entwicklungsreicher neuer Berliner Hausbau hervorblühen kann und wird.

Die neuen Forderungen unserer modernen Baumeister sind m. E. in deFHauptsache folgende: Fort mit der Nachahmung der italienischen Palastfassaden^"mit ihren starr symmetrischen Fensterreihen, die weder auf Anlage, noch Größe der Zimmer Rücksicht nehmen; fort mit den geraden Dächern, die wohl für den Süden berechtigt sind, fort mit den horizontalen Gliederungen der Renaissancegesimse und den Ornamenten, die auf Steinmaterial basieren und uns in unserem an gutem Sandstein armen Gegenden nur zu jenen elendenFabrikgipsen verführen. Da­gegen: Ausdruck des behaglichen, hygienisch erbauten Bürgerheims schon durch die Fassade; Gruppenfenster, wo Größe des Zimmers mehr