15. (6. ordentliche) Versammlung des XIV. Vereinsjahres.
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kommen, wie so’n Löwe, und hat so ’ne Stimme gehabt (des Erzählers Stimme nimmt hier einen tiefen und starken Ton an), der hat gesagt: „Dass er das Gotteshaus zum Schafstall und zum Schweinstall gemacht hat, das hat ihm ’s Genick nich gebrochen. Aber dass er das Gewölbe heruntergeschlagen hat, dafür is er ’n Kopf kürzer gemacht, und das hat er hundertmal verdient, denn er is schlimmer als ’n Mörder gewesen. Und dann haben sie den Sarg aufgeladen, und Friedrich hat ihn hergefahren. Hinter der Kirche haben sie ihm beigesetzt; ’nen Leichenstein hat er nicht gekriegt, aber eine grosse Kugel liegt auf seinem Grab. —
Letztere Bemerkung scheint einiges Licht auf die Entstehung der Sage zu werfen. Auf dem Grabe des älteren Josua Aug. Nobbe steht eine ungefähr zwei Meter hohe unkannelierte Säule, die oben flach ausgehöhlt ist und eine Granitkugel trägt, die sicli hin und her rollen lässt und unschwer herunterzustossen wäre. In einer umlaufenden Vertiefung trägt diese Säule die Inschrift: Josua Aug. Nobbe; G.: den 12. Oktober 1743; Gest.: 27. Mai 180(1. — Ob die Erzählung ausserdem einen irgendwie gearteten historischen Hintergi'und hat, war nicht zu ermitteln. Die „Voss. Zeitung“ von 1806 berichtet nichts dahingehendes. Merkwürdig ist die Verlegung der Gerichtsstätte nach der Königstrasse,' wo nach Fidicin S. 55 das Königliche Stadtgericht, das früher sogenannte Gouvernementshaus (No. 19) lag“.
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Der I. Vorsitzende bemerkte hierzu:
Diese modernste „Sage“ ist ein schätzenswerter Beitrag zur mythenbildenden Kraft des Volks. Vielleicht ist der Amtmann N. ein gestrenger und deshalb hie und da unbeliebter Herr gewesen, und es mag der Verfall der Choriner Ruine in seine Pachtzeit teilweise gefallen sein. Dies wird die grundlegende Überlieferung gewesen sein. Dazu kommt der auffallende Zustand des Grabdenkmals: eine bewegliche Kugel auf einem rumpfartigen Sockel, daraus wird phantastisch gefolgert, daß dem Betreffenden der Kopf abgeschlagen ward und daß dies durch den Wackelstein habe symbolisch angedeutet werden sollen. Solche Kleinigkeiten genügen, um ein vollständiges Phantasiegebilde aufzubauen. Ich erinnere an ähnliche schauerliche Mythen, z. B. die von dem Amtmann Grütz- macher, der angeblich wegen Totschlags einen eisernen Ring um den Hals tragen mußte, von dem verstorbenen Prinzen Karl von Preußen, Bruders Kaiser Wilhelms des Großen, und von andern mehr oder minder bekannten Personen umlaufen. In den modernen Hohenzollern-Mythen, die uns vor einigen Jahren Fräulein E. Lemke vortrug, erfahren Sie dieselbe Bekundung ausgearteter Volksphantasie, nur mehr auf dem Gebiete des Grotesk-Komischen, z. B. den Prinzen Friedrich Karl, wie er mit wallendem Lockenhaar in Frankreich als Schäfer herumzieht, um Land und Leute für den Kriegsfall auszuspionieren (Brandenburgia XI 25 -37),