Heft 
(1905) 14
Seite
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15. (5. ordentliche) Versammlung des XIV. Vereinsjahres.

herausfordern, eine völlige Neubildung aber umsonst gegen Kleists popu­lärste Novelle ankämpfen wird.

Diese warnenden Worte sind einem jungen Wiener Schriftsteller, namens Rudolf Ilolzer, entweder nicht bekannt gewordeu oder er hat sie in den Wind geschlagen. Denn er hat es gewagt, gegen den großen Vorgänger in die Schranken zu treten und ein deutsches Trauerspiel llans Kohlhase (Wiener Verlag 1005) verfaßt, über das ich Ihnen auf Wunsch unseres verehrten Herrn Vorsitzenden einiges mitteilen will.

Die Gefahr, die darin bestand, dem Kleistischen Werke eine völlige Neubildung gegenüber zu stellen, war der Verfasser nach Kräften zu vermeiden bemüht. Vielmehr schließt er sich, besonders in den ersten vier Aufzügen seines Dramas, dem epischen Vorbild recht ängstlich an. Allerdings weicht er in Einzelheiten von ihm ab. Er nennt seinen Helden getreu der historischen Überlieferung Hans, nicht Michael, seine Gattin Margarete, nicht Lisbeth (Elisabeth). Er verlegt seine Wohnung, wiederum der Geschichte folgend, nach Berlin, während Kleist seinen Michael bekanntlich in Kohlhaasenbrück hausen läßt. Ebenso nennt er den Junker, der Kohlhase das Unrecht zufügt, nicht mit Kleistvon Xronka, sondern gibt ihm den historischen NamenZaschwitz. Auch in andern nebensächlichen Punkten gibt er dem Berichterstatter Peter Haft'tiz vor 1 dem Dichter Kleist den Vorzug. Ferner fügt er einige Per­sonen: Koblhasens Vater, einen Vetter u. a. hinzu. Endlich bietet er im zweiten Aufzug eine eigen erfundene, nicht übel geratene Gerichts­verhandlung, die in Jüterbog zwischen dem Helden und dem Junker Zaschwitz stattfindet, zu der eine Notiz von Hatftiz die Anregung gab, die aber Kleist unberücksichtigt ließ. Also Holzer weicht auch in den ersten vier Aufzügen, in denen er sich, wie ich sagte, eng an Kleist hält, doch wieder, freilich in Kleinigkeiten, von ihm ab, im großen und ganzen aber kann man ihm das Lob nicht versagen, daß er die Novelle sehr gründlich gelesen uud in sich aufgenommen hat, allzugrüudlich. Wohl dadurch ist es ihm begegnet, daß er ihren Wortlaut in einem Maße kopiert, daß man zu dem doppelten Schluß gedrängt wird: ein­mal besitzt der Verfasser ein phänomenales Gedächtnis, das unsere höchste Bewunderung erregt, dann aber hat er auch von der literarischen Selbst­ständigkeit eine Auffassung, die nicht für allgemein üblich gelten kann. Ganze Sätze schreibt er immer wieder aus der Erzählung ab, wobei es ihm zweimal begegnet, daß ihr Sinn entstellt wird (S. 138,1 ff und 155,7). Die herrliche Unterredung Kohlhaases mit Luther, den Gipfel der Kleisti­schen Novelle, übernimmt er in der Weise, daß er ebenfalls die beiden Männer gegenüberstellt, ihren Dialog aber fast allein aus Brocken von der Tafel des märkischen Dichters bildet. Darnach könnte man das Stück im wesentlichen eine Dramatisierung der Erzählung in dem übel berüchtigten Birch-Pfeift'erschen Sinne nennen. Allein vom fünften Auf-