Heft 
(1899) 8
Seite
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Pestzeiten in Berlin und der Mark Brandenburg.

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Pestzeiten in Berlin und der Mark Brandenburg.

In den letzten Oktober-Tagen ging ein allgemeiner Schrecken durch das ganze, civilisierte Europa. In Wien war die Beulenpest aufgetreten und mit Spannung lauschte man auf die Nachrichten aus Wien über den ferneren Verlauf der Seuche. Die allgemeine Teilnahme wandte sich vorzugsweise einem der drei Opfer des Todes zu, dem Doktor Hermann Müller, dem genialen jungen Arzte, der sich mit wahrem Heroismus der Pflege der von der Seuche Befallenen widmete, und, als er selbst von ihr ergriffen wurde, seine Person als Studienobjekt benutzend mit antiker Seelengrösse die am eigenen Leibe erlebten Symptome kaltblütig ver- zeichnete, bis der Tod ihn hinwegriss.

Mit Rührung und Bewunderung las man in den Tagesblättern die Schilderung der Vorgänge, die sich in (1erPest-Baracke des Kaiser Franz Joseph-Epideinie-Spitals abspielten. Leuchtend und strahlend hebt sich von diesem düsteren und grauenvollen Hintergrund die gross ver­anlagte Charaktergestalt des jungen, von der Doppelglorie eines Märtyrers der Wissenschaft und edelsten Menschentums verklärten Arztes ab.

Dr. Hermann Müller wurde am 25. Oktober 1 Still zu Wien geboren. Nachdem er 18!)() in Gratz das medizinische Doktorat erlangt hatte, trat er als Hospitant in die Klinik Nothnagels im Wiener Allgemeinen Krankenhaus ein, habilitierte sich später als Docent an der Wiener Universität, und leitete 181)7 die von der Kaiserlichen Akademie zum Studium der Pest nach Indien entsandte österreichische Expedition, die ein höchst wertvolles Beobachtungsmaterial sammelte. Furchtlos drang Müller in die grauenvollen Pesthölen Bombays; an etwa 1000 Pest­kranken studierte er das Wesen und den Verlauf der furchtbaren Seuche. Sein persischer Assistent erlag, während er selbst und seine drei Wiener Kollegen verschont blieben.

Nach seiner Heimkehr widmete er sich, neben seiner Thätigkeit als Docent und als erster Assistent Nothnagels, der Ausarbeitung seines reichhaltigen Berichtes, der vollendet vorliegt; aber der Würgengel, der^ ihn in Indien verschont hatte, überfiel ihn heimtückisch in seiner Heimat und streckte ihn nieder.

Das erste Opfer der glücklicherweise lokalisierten, Pest war der 25jährige Spitalsdiener Franz Buhrisch, der als Leichenwärter diente. Buhrischs Aufgabe bestand in der Wartung der Versuchstiere und namentlich in der genauen Desinfizierung des Laboratoriums und der Instrumente, wobei er doch wohl einmal die gebotene Vorsicht aus den Augen liess. Er erkrankte in der Nacht vom 1415 Oktober. Da die Möglichkeit einer Pestinfizierung voiiag, wurde er sofort isoliert. Am