Heft 
(1899) 8
Seite
80
Einzelbild herunterladen

80

Pestzeiten in Berlin und der Mark Brandenburg.

hat, über 10 000 Menschen gestorben sein. Vor und nach dieser grossen Epidemie sind noch eine Anzahl anderer schwerer Durchseuchungen des römischen Reiches aufgezeichnet, von keiner aber ist es den neueren ärztlichen Forschern gelungen, sie mit Sicherheit als Pest zu erkennen. Von einigen kann man mit Wahrscheinlichkeit behaupten, dass sie anderen Krankheiten entsprechen, als Pocken, Flecktyphus u. s. \v., dass sie unserer Pest nicht angehörten, geht vor Allem daraus hervor, dass die Beobachter der ächten Pestepidemien, diese als etwas Unerhörtes, ihnen ganz Neues beschreiben.

Ich komme nun wieder zumschwarzen Tod zurück. Dieser damalsdas grosse Sterben genannt, überraschte Europa im Jahre 1347. Die Krankheit brach von Kiptschak, einem Reiche, welches sich im Mittelalter zwischen dem Ural und dem Asowschen Meere aus­breitete, über Tana am unteren Don, Caffa in der Krim und Constan- tinopel herein. Die gleichzeitigen Schriftsteller bezeichnen einstimmig Katliay, das nördliche China, als den ursprünglichen Ausgangspunkt der Seuche. Nach Deutschland kam die Seuche von mehreren Seiten her, hauptsächlich allerdings von Süden über Österreich und die Schweiz, aber auch von Westen über Burgund und Lothringen. Die Sterblichkeit muss grauenerregend gewesen sein, ln Cairo sollen täglich 10 000 Menschen gestorben sein, in Bagdad, allerdings erst in 3 Monaten, 480 000. In Russland starb 138(5 die Stadt Smolensk bis auf 10 Ein­wohner aus.

Für manchen als besonders interessant möchte ich noch erwähnen, dass Giovanni Boccaccio in der Einleitung zu seinem Decamerone er­zählt, dass, als in Florenz 1348 die Pest wütete, daran 1 (50 000 Menschen gestorben seien und in Folge des Schreckens sich eine Gesellschaft von jungen Herren und Damen auf ein entferntes Landgut zurückgezogen hätten, um dort in gesunder Luft und fernab von dem Herd der Seuche in heiterer Geselligkeit die trübe Zeit zu durchleben und mit humor­vollen und ausgelassenen Liebesgeschichten sich zu zerstreuen, aus deren letzteren er sein Decamerone zusammensetzte.

Da die Pest, ebenso wie Pocken, Masern und Scharlach, dieselben Menschen nur einmal zu befallen pflegt, so ist es erklärlich, warum ein durchseuchtes Land nachher sich einer, wenn auch nur kurzen Ruhe erfreuen kann. Die Krankheit verheert dann wohl benachbarte Orte, welche vorher frei geblieben waren, und kehrt nach dem zuerst ver­seuchten Orte erst dann wieder zurück, wenn eine genügende Anzahl von Menschen, die dieselbe noch nicht überstanden haben, herangewachsen ist.

Nachdem dann im Jahre 157477 in Mailand eine grosse Pest­epidemie grassiert hatte, die von dem Erzbischof und Cardinal Grafen Carlo Borromeo, der mit der grössten Aufopferung sich der Kranken annahm, den Namen:die Borromeische Pest erhalten hat, brach dann