Heft 
(1899) 8
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g4 Pestzeiten in Berlin und der Mark Brandenburg.

deren Deutung verzagt, dass es im Falle der Not alle menschliche Hülfe verabsäumte, weil sie die Abwendung der Seuchen, das Flüchten und die Absonderung und das Einhalten der Pestkranken für unerlaubt und dem göttlichen Willen entgegen hielten. Das Volk wurde bange gemacht, dass die Strafen Gottes sich verdoppeln möchten, wenn sie dessen Züchtigungen answeichen wollten. Dahingegen liefen Gesunde und Kranke haufenweise zu den Altären und Bildnissen der Heiligen in Kirchen und Kapellen, fielen davor nieder, beteten stundenlang neben­einander und letztere die Kranken wurden oft tot hinausgetragen und erstere die Gesunden angesteckt. Halbtote Pestkranke rafften ihre letzten Kräfte zusammen, und, um selig zu sterben, schleppten sie sich in den häufig durch alle Gassen angestellten Prozessionen mit, bis sie tot danieder sanken. Wie man endlich bemerkte, dass das freie Herum­gehen der Pestkranken die Seuche entsetzlich vermehrte, so fiel man auch in diesem Lande an einigen Orten aus Unverstand in eine ausser­ordentliche Grausamkeit, in der Absicht, die schädliche Gemeinschaft der Gesunden und Kranken zu verhüten. Sobald wie die Pest in einem Hause ausbrach, wurden Tlniren und Fenster vernagelt, auch wohl vermauert. Die Kranken starben und die darin befindlichen Gesunden mussten für Hunger, Kummer und Gestank mit umkommen.

Die Obrigkeiten, welche zu der Zeit selbst nicht dachten, sondern den Einsichten und Leitungen der Geistlichkeit blindlings folgten, über- liessen Menschen, Städte und Länder dem Schicksal. Weil Gott und die Heiligen nicht helfen wollten, so war weiter keine Hülfe mehr.

Die Grausamkeiten, die zu Pestzeiten gestattet wurden, waren ganz unmenschlich und abscheulich. In Festen, die lange anhielten, wurden die Menschen hier in der Mark des öfteren Begrabens müde. Man nahm nicht allein die Toten, sondern auch, um sich die vielen Gänge und Führer zu ersparen, selbst die mehr für Hunger als Pest entkräfteten Lebendigen,'so noch hätten errettet werden können, und warf sie nebst den Toten zusammen in dazu verfertigte grosse Gruben und liess sie darin umkommen oder verscharrte sie lebendig.

In diesem Tone fährt Moehsen noch weiter, ?&)rt, die Geschichte der Pest in der Maik Brandenburg zu schreiben, und wenn auch ein Zweifel an seiner Wahrheitsliebe nicht erlaubt sein kann, da er alles durch Stellen aus zeitgenössischen Schriftstellern beglaubigt, so geht doch eines daraus hervor, dass er jedenfalls kein Freund der Geistlichkeit gewesen ist, denn er macht sie für alles das allein verantwortlich, was sich auch ohne besonderes Zuthun der Geistlichkeit aus dem ganzen Geist der damaligen Zeit erklären lässt, wo die Geistlichkeit ebenso wie die übrige Menschheit unter dem Druck der Unwissenheit dahinlebte. Wissenschaftliche Forschungen über Krankheit, deren Erreger und Be­kämpfung hatten damals noch nirgends stattgefunden; nur die rohe