Pestzeiten in Berlin und der Mark Brandenburg.
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Empirie leitete die wenigen, die sich, ausser den vielen Quacksalbern, mit Heilen befassten, und von wissenschaftlicher Yolkshygiene war vollends keine Rede. Der Geistliche war damals, wie ja jetzt noch oft auf dem Rande, der erste, der um Rat und Hülfe angegangen wurde, und des Geistlichen Hauptmittel für alles Übel, leiblich wie geistig, war das Gebet zu den Heiligen.
Auf den folgenden Seiten schildert Moehsen dann die furchtbaren Verirrungen, welche die Pestseuche in den Gemütern der Menscheu hervorbrachte; die grausamen Juden-Verfolgungen, die hier in der Mark ebenso gräuelvoll stattfauden, wie in der ganzen übrigen westlichen Welt:
Die Juden, dieser an sich nur kleine Teil der grossen semitischen Rasse, hatten nach Zerstörung ihres heimatlichen Reiches und ihrer Zerstreuung über Europa, sich den allgemeinen Hass der arischen Völker zugezogen, so dass sie überall zu willkommenen Sündenböcken für eintretende grosse Übel gemacht wurden. Das Vorurteil, dass die Pest bloss eine Strafe Gottes sei, hatte sich im Laufe der Zeit gemindert und nun mussten böse Menschen die Schuld tragen. Die grosse Pest, welche R‘541 anfing und bis zum Jahre 1357 fort wütete, wurde den Juden Schuld gegeben und deren Verfolgung mit entsetzlicher Grausamkeit und unter Genehmhaltung der meisten Obrigkeiten und fast der ganzen Geistlichkeit beschlossen und veranstaltet. Und wenn die Juden erst an einem Orte angeklagt wurden, dass sie die Pest verursacht hätten, so ward solches überall für wahr angenommen und ihr Verderben auch an anderen Orten beschlossen. Bei den gerichtlichen Untersuchungen fing man mit falschen Beschuldigungen und Martern an, und dieses war hinreichend das Geständnis der abscheulichsten Bosheiten von ihnen auszupressen und solcher Bosheiten, an welche die Juden sicherlich nicht gedacht hatten. Man beschuldigte sie, dass sie aus Hass gegen die Christen die Brunnen und Flüsse vergiftet hätten und bedachte nicht, dass sie selbst daraus trinken mussten. Es geschah, besonders in vorgedachten Pestjahren, dass sie nach der eigentlichen Bedeutung vogelfrei erklärt und von einem jeden, der boshaft und grausam genug war, in der Wut und heiligem Eifer ermordet, auch ausgeplündert und nackend fortgejagt wurden. In der Mark ging es den Juden nicht besser als in dem übrigen Deutschland, ohneraclitet sie in diesem Lande vorzüglich begnadigt worden. Die Juden waren bereits unter der Regierung der askanischen Fürsten und auch noch in der Zeit, wie die Markgräfin Agnes die Altmark besass (nach 1319, dem Tode Waldemars, ihres Gatten), als Einwohner dieses Landes und als reiche Leute beschrieben. In Stendal hatten sie seit 1293 das Bürgerrecht erworben, und konnte solches auch jeder Jude erlangen, der 10 Mark Silber im Vermögen hatte, wovon er den Markgrafen jährlich 1 Loth