Heft 
(1899) 8
Seite
95
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Otto Pniower, Die erste Berliner Zeitschrift in deutscher Sprache.

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Er nennt ihn nie anders als Stercutius und überschüttet ihn mit den ärgsten Schimpfwörtern. Mehr als 1(5 Seiten dieser Zeitschrift in klein 4 füllt diese Auseinandersetzung. Welche Zumutung für den Leser nach unseren heutigen Begriffen!

Ich habe zuletzt, um Ihnen ein deutlicheres Bild von dem Wesen der Monatsschrift zu geben, den Inhalt einer ganzen Nummer, der zweiten des ersten Jahrganges, skizziert. Der 'Vollständigkeit halber muss ich noch hinzufügen, dass jener Auseinandersetzung über die Keuschheit der heiligen Kunigunde eine Einleitung vorausgeschickt ist, die ein seltsames Ragout darstellt. Sie beginnt mit einer galanten Anrede an eine ,Madame 1 . Jede Nummer zeigt diese Anrede. Einmal spricht sich Oelven darüber aus, wen er dabei im Auge habe und erklärt zuletzt Madame Fantasie für die Angesprochene (S. 99). In dieser Einleitung entschuldigt sich Oelven wegen der Angriffe, die die Damenwelt als die Trägerin der im ersten Heft gegeisselten, entarteten Mode erfuhr, erzählt eine Anekdote von einem spanischen Gesandten, der in Paris im Garten der Tuilerien unvermutet eine Ohrfeige von einem petit maitre erhalten habe und benutzt das, um eine höhnende Charakteristik dieser Klasse von Menschen, der Modegecken und Gigerln jener Zeit, zu geben. Dann erst kommt er auf die Angelegenheit der heiligen Kunigunde zu sprechen.

Ähnlich präsentieren sich die anderen Hefte. Alle zeigen den buntscheckigsten Inhalt. Eine Abgrenzung der so verschiedenartigen Stoffe ist absichtlich vermieden. Im letzten Heft des Jahres 1708, das der Hochzeit Friedrichs I. mit Sophie Luise von Mecklenburg gewidmet ist, wird mitten in der Verherrlichung der Vermählung die Frage er­örtert, ob Xerxes oder Artaxerxes mit dem König Ahasver des alten Testaments identisch ist. Den Anlass dazu giebt Oelveu der Umstand, dass das Königspaar mit Ahasver und Esther verglichen worden war. Und unvermutet schliesst er daran eine Tabelle zum Unterricht betreffend die Geschichte von Esdras, Nehemias, Esther, Daniel und vielen anderen Büchern der heiligen Schrift. Offenbar hält Oelven diese Mischung des Heterogenen für geistreich. Er erklärt sich zwar für einen Feind des bei esprit (Praesente S. 34), allein was man so oft zu beobachten Ge­legenheit hat, dass jemand, der gegen eine Mode, eine Richtung seiner Zeit ankämpft, selber ihr unbewusst huldigt, trifft auch für ihn zu. Auch er steht im Banne einer von ihm getadelten Neigung seiner Zeit. Sichtlich strebt er nach den Lorbeeren eines eleganten Causeurs. Was er bietet, ist der naive Ausdruck dieses Strebens Es liegen hier die ersten Anfänge des späteren Feuilletons vor, jenes heute Gott sei Dank in der Achtung gesunkenen und nicht für mehr so unentbehrlich gehaltenen Ingrediens jeder besseren Zeitung, das für um so gelungener gilt, je krauser sein Inhalt ist. Auch bei ihm kommt es darauf an, über die