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1. ordentliche Versammlung des VIII. Vereinsjahres.
der Gesellschaft. Es war in Deutschland schon jener verhängnisvolle Unterschied zwischen den Gebildeten und den Ungebildeten eingetreten. Obwohl die grossen Komponisten jener Zeit — Bach und Händel — blühten, so waren sie der grossen Masse doch unverständlich und konnten auch ihrem ganzen künstlerischen Streben nach die Hausmusik nicht bereichern. Charakteristisch für die musikalische Richtung der Zeit ist es, dass in den Jahren 1540—1807 nur eine einzige Sammlung von Volksliedern, auf die wir noch zurückkommen werden, erschienen ist. Als Probe für die Musik und Gesangsweise des 17. Jahrhunderts trug Herr Dr. Friedländer ein Lied des Komponisten Hammerschmidt vor, das von der Gemahlin des Grossen Kurfürsten gesungen wurde, ein Lied, das unserem Geschmack nicht mehr zusagt. Daneben aber giebt es auch Komponisten aus jener Zeit, deren Schöpfungen durchaus unseren Beifall finden. Zu ihnen gehört der Königsberger Komponist Albert, ein Freund Simon Dachs und der Komponist seines Liedes „Ännclien von Tharau“. Es wurde uns zuerst sein Echolied vorgespielt und darauf von Herrn Dr. Friedländer ein zweites Lied desselben aus dem Jahre 1687 gesungen. Für diesen Komponisten war der protestantische Choralgesang noch von Einfluss gewesen. Der berühmteste Komponist jener Zeit ist aber Joh. Fux, und bis Brahms herunter haben die grossen Komponisten seine berühmten Kontrapunkte bearbeitet, so ist auch Graun von ihm abhängig. Über die beliebtesten Musikstücke jener Zeit giebt Toure: „Katalog der Musiksammlung des Königs“ (1740) Auskunft. Aus dieser Sammlung trug Herr Dr. Friedländer ein Lied vor, das von der Gemahlin König Friedrich Wilhelms I. gern gesungen wurde. Seine verschnörkelte Weise entspricht nicht mehr unserem musikalischen Empfinden. Endlich im Jahre 1753 ei’schien eine Liedersammlung unter dem Titel: „Augsburger Tafelkonfekt“, welche volkstümliche Weisen enthält; aus ihr brachte Herr Dr. Friedländer einige Lieder zum Vortrag. Wir heben ein Studentenlied hervor, welches der Vorgänger des bekannten „(Ja (Ja geschmauset“ geworden ist, und sodann das prachtvolle Lied: „Willst Du Dein Herz mir schenken“. Nach diesen wahrhaft volkstümlichen Liedern sang Herr Dr. Friedländer ein solches von Hagedorn als Probestück für die Liebhaberei seiner zeitgenössischen gebildeten Damen. Ein eigentümliches Genre jener Zeit, ein Spottlied auf die Philosophie, das uns gleichfalls in seinen merkwürdigsten Versen vorgesungen wurde, ist deshalb beachtenswert, weil der Anfang der Görnerschen Komposition desselben in folgenden bekannten Liedern: „Lasset die verdammten Manichäer“ und „Brüder, zu den festlichen Gelagen“ sowie in einer musikalischen Einlage der „Mottenburger“ zu erkennen ist. Ein zweites Spottlied, das wir hören durften, ist anonym erschienen und trägt den Titel „Die Muse der Pleisse“. Es richtet sich gegen die wissenschaftlichen Bestrebungen der
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